Deutsche Inflation sprang auf 5,2 Prozent - höchster Wert seit 1992

Stromleitung
Im Oktober lag sie bei 4,5 und im September bei 4,1 Prozent. Vor allem teure Energie ist für den Preisschub verantwortlich

Die deutsche Inflationsrate ist im November erstmals seit mehr als 29 Jahren über die Marke von fünf Prozent gestiegen. Waren und Dienstleistungen kosteten um 5,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Montag in einer ersten Schätzung mitteilte.

Niedrigere Werte

Einen höheren Wert gab es zuletzt während des Wiedervereinigungsbooms im Juni 1992 mit 5,8 Prozent. Für den erneuten Preisschub sorgte vor allem teure Energie.

Ökonomen hatten nur einen Anstieg auf 5,0 Prozent vorhergesagt. Im Oktober war die Inflationsrate noch bei 4,5 Prozent gelegen, im September bei 4,1 Prozent.

EZB-Direktorin Isabel Schnabel erwartet künftig wieder niedrigere Werte. "Wir gehen davon aus, dass im November der Höhepunkt der Inflationsentwicklung erreicht ist", sagte die Währungshüterin im ZDF. Die Teuerungsrate dürfte 2022 wieder allmählich in Richtung zwei Prozent sinken, der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB).

Lieferengpässe

Sondereffekte wie etwa die zeitweise Mehrwertsteuersenkung im vergangenen Jahr würden dann aus der Statistik fallen. "Auch die Energiepreise werden nicht mit dem gleichen Tempo weiter steigen", sagte Schnabel. Die pandemiebedingten Lieferengpässe in der Wirtschaft dürften sich zudem allmählich auflösen.

Sollte sich die Inflation dauerhaft auf einem höheren Niveau als zwei Prozent festsetzen, werde die EZB entschlossen reagieren. "Aber im Moment wäre es eben ein Fehler, die Zinsen frühzeitig zu erhöhen und damit den Aufschwung zu bremsen, denn das würde im Wesentlichen zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führen und würde an der aktuell sehr, sehr hohen Inflation gar nichts mehr ändern können", sagte Schnabel.

 Ökonomen sagten dazu:

Friedrich Heinemann, ZEW:

   "Deutschland erlebt den stärksten Inflationsschub seit drei Jahrzehnten. Die Fünf vor dem Komma ist aber kein Grund zur Panik. Der Novemberwert könnte jetzt schon der Scheitelpunkt des Inflationsschubs sein. Die aktuell deutliche Abwärtskorrektur bei den Ölpreisen und die unausweichlichen neuen Kontakt-Einschränkungen in der vierten Welle werden schon rasch preisdämpfend wirken. Ab Jänner ist dazu mit einem statistischen Bremseffekt bei der Inflationsrate zu rechnen, weil die Erhöhung der Mehrwertsteuer aus dem Jahresvergleich herausfällt. So sicher das Absacken der Inflationsrate ab Jänner ist, so unklar bleibt, ob Deutschland in den kommenden zwei Jahren wieder mit Inflationsraten in einem Bereich von zwei Prozent rechnen kann. Das entscheidet sich in den kommenden Tarifverhandlungen und letztlich auch im Rat der Europäischen Zentralbank."

   Sebastian Dullien, IMK-Institut:

   "Es bestehen gute Chancen, dass wir mit dem aktuellen Anstieg den Höhepunkt der Inflation erreicht haben oder dass dieser zumindest im Dezember erreicht wird. Wir rechnen spätestens ab Jänner mit fallenden Inflationsraten. Allerdings könnte es bis in die zweite Jahreshälfte 2022 dauern, bis die Inflationsrate wieder unter die Marke von 2,0 Prozent fällt. Derzeit spricht zudem wenig für eine Lohn-Preis-Spirale, wie man unter anderem am Tarifabschluss der Länder erkennen kann. Gesamtwirtschaftlich könnten die Lohnkosten pro Jahr nominal um rund drei Prozent zulegen - die Zielinflation der EZB plus der Trendproduktivität.

   Aufs Jahr gerechnet bleibt der Abschluss der Länder wie auch die meisten anderen Tarifabschlüsse für dieses und nächstes Jahr spürbar unter dieser Marke. Damit geht von den Lohnkosten kein Inflationsdruck aus. Auch in anderen europäischen Ländern ist derzeit von übermäßigen Lohnabschlüssen nichts zu erkennen. Solange die tatsächliche Inflation 2022 - wie bisher üblicherweise prognostiziert - wieder spürbar sinkt, braucht sich derzeit die Europäische Zentralbank keine Sorgen über inflationären Kostendruck von der Lohnseite zu machen."

   Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin KFW:

   "Für das kommende Jahr sehe ich Licht am Ende des Tunnels. Es ist sehr wahrscheinlich dass sich die Inflation schrittweise zurückbildet und Mitte des Jahres die Zwei-Prozent-Marke wieder unterschreitet. Mit Blick auf die Geldpolitik ist eine ruhige Hand gefragt. Vor dem Hintergrund der überwiegend temporären und auch angebotsseitigen Effekte würden kurzfristige Straffungsmaßnahmen einerseits verpuffen."

   Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank:

   "Beim Blick auf die Inflationsrate könnte es einem fast schwindelig werden. Teuerungsraten in dieser Größenordnung wurden zuletzt im Zuge des Wiedervereinigungsbooms gemessen. Der ganze Mix aus Basiseffekten, höheren Energiepreisen, geringerem Mehrwertsteuersatz im Vorjahr und die Materialknappheiten manifestieren sich nun in dieser hohen Inflationsrate. Die November-Inflationsrate sollte aber den vorläufigen Teuerungshöchststand markieren. Basiseffekte laufen nun aus. Der Konsumentenpreisanstieg dürfte gemessen gegenüber dem Vorjahr im Dezember geringer ausfallen.

   Die Inflationsraten werden zwar in den kommenden Monaten noch auf verhältnismäßig hohem Niveau bleiben, doch ein fallender Trend sollte erkennbar sein. Bleiben Zweitrundeneffekte aus, dürfte zur Jahresmitte 2022 bereits schon wieder die EZB-Zielmarke von zwei Prozent angesteuert werden. So erschreckend hoch die Inflationsrate in November auch ausfällt, die Zahl markiert das vorläufige Ende des immensen Teuerungsschubes. Gerade deshalb wird die EZB weiterhin gelassen mit den hohen Inflationsraten umgehen."

   Jörg Krämer, Chefovolkswirt Commerzbank:

   "Mit 5,2 Prozent ist die Inflation jetzt so hoch wie Anfang der 1990er Jahre nach dem deutschen Vereinigungsbooms. Besorgniserregend ist, dass die Verbraucherpreise allein gegenüber Oktober saisonbereinigt ungewöhnlich kräftig um 0,6 Prozent gestiegen sind. Außerdem legen die Preise mittlerweile auf breiterer Front zu, es geht nicht mehr nur um Energie und einige besonders von Corona betroffene Güter. Zwar dürfte die Inflation wegen des Wegfalls einiger Sonderfaktoren nach der Jahreswende wieder sinken. Aber wegen der hohen Haushaltsdefizite und der EZB-Anleihekäufe gelangt weiter zu viel Geld in Umlauf. Die EZB sollte den Fuß vom Gas nehmen, ihre Anleihekäufe einstellen und die Negativzinspolitik beenden."

 

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