Neue Finanz-Vorständin: "Andritz ist ein großer Bauchladen"

Eine Frau in einem blauen Blazer lehnt an einer weißen Wand.
Vanessa Hellwing sitzt als erste Frau in der Unternehmensgeschichte in der Führungsetage. Sie will den Konzern digitaler und zentraler aufstellen.

Jahrelang musste der steirische Anlagenbauer Andritz um seinen Ruf kämpfen. Der Konzern stand vor allem wegen seiner Mitwirkung an großen und umstrittenen Kraftwerksprojekten – etwa in Asien oder Südamerika – in der Kritik. Doch in den vergangenen Jahren ist es diesbezüglich ruhig um Andritz geworden. „Wir haben bereits ein sehr grünes Portfolio und wollen das weiter ausbauen“, sagt Vanessa Hellwing. Sie ist seit Ende März die neue Finanzvorständin des Konzerns. Übrigens die erste Frau im 173 Jahre alten Traditionsunternehmen.

Seit geraumer Zeit müssen große Betriebe laufend über ihre Leistungen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) berichten. Laut Hellwing wäre die Verpflichtung dazu für Andritz nicht nötig. „Wir selbst haben uns ambitionierte Ziele gesetzt. wir jagen keinen Kennzahlen hinterher, es kommt aus dem Unternehmen selbst“, sagt sie im KURIER-Gespräch. „Wir fühlen uns nicht getrieben, sondern haben es in der DNA drin – ein Punkt, der mich zu Andritz gebracht hat.“ Die Vorständin, die zuletzt bei der deutschen Viessmann Climate Solutions ebenfalls in dieser Position tätig war, kritisiert aber die hohen Anforderungen der Reportings. „Damit sind fünf Menschen beschäftigt. Und wer liest all diese 300 Seiten?“

Nicht nur was ESG betrifft, sondern generell wünscht sie sich weniger bürokratischen Aufwand. Etwa bei der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland. „Die Vorgaben sind unglaublich, schon fast lächerlich, sodass wir sie kaum zeitgerecht zum Einsatz kriegen.“ Hinzu kämen aber auch auf Mitarbeiterseite Probleme. „Sie finden kaum noch Servicetechniker, die bereit sind, die ganze Zeit zu reisen.“ Auch hier käme immer öfter Remote Work zum Einsatz. So arbeite etwa jemand vor Ort mit VR-Brille und führe dabei Wartungsarbeiten oder Reparaturen mit Handlungsanweisungen aus Österreich durch.

Veränderte Berufsbilder

Generell würden sich die Berufsbilder verändern. „Die meisten Unternehmen, auch Andritz, sind dabei zu langsam, sagt Hellwing.“ Wenn darauf nicht reagiert werde, sei man kein attraktiver Arbeitgeber mehr. Auch der Posten des Finanzvorstands habe sich „sehr verändert. Der CFO war früher kaufmännischer Leiter, der darauf schaute, dass die Zahlen am Monatsende richtig waren. Es war keine gestalterische Position. Das hat sich sehr geändert.“ Dieser Wandel des Berufsbildes sei für Hellwing die Motivation, an Veränderungen in einem Konzern zu arbeiten.

Apropos: Dies soll auch durch Digitalisierung und Automatisierung geschehen. Nicht zuletzt auch wegen der Personalkosten. „Der Druck ist enorm. Wir hatten 30 Prozent Lohnsteigerung in den letzten Jahren in Österreich. Das ist eine Herausforderung für den Standort.“ Jobkürzungen stünden aber nicht im Raum.

Keine Baustellen

Die Vorständin sieht Andritz gut aufgestellt, sie habe keinen Job mit Baustellen übernommen, es gebe auch keinen direkten Handlungsbedarf. „Mein Schaffensfeld für die nächste Zeit ist eine höhere Digitalisierung zu erreichen, das wurde in der Vergangenheit nicht so fokussiert, das ist ein Wettbewerbsvorteil, den Andritz haben muss. Ich werde es schwer haben, meinen Job zu machen, wenn wir da nicht Schritte nach vorne machen.“

Der Konzern mit seinen 280 Standorten ist laut Hellwing für einen Außenstehenden schwer zu verstehen, denn es handle sich um einen großen Bauchladen. Der Vorteil sei ein diversifiziertes Risikoprofil. „Der Konzern ist über viele Akquisitionen stark gewachsen und entsprechend heterogen aufgestellt.“ Jeder Bereich versuche eigenständig für sich Optimierungen hinzubekommen, aber im Kleinen sei dies schwieriger und teurer als global. „Wir werden klare Regeln und einheitliche standardisierte Prozesse etablieren müssen.“ Hellwing hat dazu schon ein großes konzernweites Projekt gestartet.

Ihr Vertrag läuft vorerst über drei Jahre. Ziel bis dahin sei es, effizienter, digitaler und am Kapitalmarkt sichtbarer und attraktiver zu sein. „Die Unternehmensbewertung entspricht nicht dem Potenzial, das das Unternehmen hat.“ Ein weiteres Listing an einer ausländischen Börse wäre hilfreich, würde aber 15 bis 20 Millionen Euro kosten.

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