Agrana-Chef überzeugt: "Geiz ist geil? Das funktioniert nicht"

Stephan Büttner
Stephan Büttner, Agrana-CEO und neuer Obmann der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, über die anhaltende Preisdebatte, warum für den Standort Österreich „die Uhr tickt“ und was er sich von der Politik erwartet.

Zusammenfassung

  • Agrana-CEO Büttner sieht größten Reformbedarf beim Energiepreis und warnt vor sinkender Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich.
  • Die anhaltende Preisdiskussion bei Lebensmitteln lenkt laut Büttner vom eigentlichen Problem, den hohen Energiepreisen, ab.
  • Investitionen in Österreich sind laut Büttner derzeit schwierig, und "Geiz ist geil"-Mentalität gefährdet Qualität und Regionalität.

Büttner hofft außerdem, dass andere Branchen dem Metaller-KV folgen, sagt, dass es für einzelne Konzernstandorte keine Garantie geben könne. Investitionen in Österreich seien derzeit generell schwierig darzustellen. 

KURIER: Sie leiten einen Agrarkonzern, sprechen aber auch für die Lebensmittelindustrie. Was sagen Sie zur Debatte über die Veggie-Würstel? Sinnvoll oder Schildbürgerstreich? 

Büttner: Ich glaube, wir haben wirklich andere Probleme im Moment. Das ist ein Problem, wo keines ist.

Ihr neuer Bereich für Food- und Getränkelösungen läuft sehr gut, Zucker bleibt problematisch – hoher Preisdruck, sinkender Absatz. Gilt das nur für Osteuropa, oder ist das auch ein Österreich-Thema?

Nein, das gilt für ganz Europa, wobei in Österreich die Lage auch immer schwieriger wird, weil wir ja sowohl beim Wachstum als auch bei der Inflation mittlerweile ganz hinten sind in Europa.

Ist noch immer der Billigzucker aus der Ukraine das Hauptproblem?

Das ist aktuell nicht das Hauptproblem. Aber Zucker ist ein lagerfähiges Gut. Und wenn über einen gewissen Zeitraum bis zu 1,5 Millionen Tonnen zusätzlich aus der Ukraine in die EU hereinkommen, dann staut sich das auf, und das ist auch die Menge, die wir jetzt weiter vor uns her schieben. Das drückt nachhaltig den Marktpreis. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis sich dieser Markt überhaupt wieder erholen kann in der EU.

Sie sprechen von irreparablen Marktverwerfungen ...

Ja, weil das ja auch zu Kapazitätsschließungen führt und die werden wir nicht mehr aufsperren. Das heißt, da gehen Arbeitsplätze verloren, da geht Produktivität verloren, und die ist nicht wieder zurück zu bringen.

Es geht um die beiden Werkschließungen im Frühjahr, in Leopoldsdorf und Hrušovany in Tschechien. Jetzt wird bei uns nur noch in Tulln Zucker produziert. Gibt es für Tulln eine Standortgarantie?

Nein, es gibt keine Garantie. Wir stehen im Wettbewerb und müssen alle Geschäftsbereiche weiterentwickeln. Und unsere erste Aufgabe ist es natürlich, dass wir den Zucker wieder in eine profitable Situation zurückbringen. Da kann es keine Garantien geben.

Sie sind seit Jänner 2024 CEO der Agrana, waren für den Konzern in Frankreich tätig und sitzen bei Südzucker in Mannheim im Vorstand. Aus der internationalen Perspektive gefragt: Wie gefährdet ist der Standort Österreich insgesamt?

Also, ich denke schon, dass die Uhr tickt. Wir müssen zusehen, dass wir nicht noch mehr an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Deutschland war bis vor Kurzem auch nicht in einer wesentlich besseren Situation. Dort habe ich aber schon das Gefühl, dass da jetzt mehr gemacht wird. Österreich ist jetzt de facto Schlusslicht und wir müssen schleunigst die richtige Maßnahmen setzen, damit wir den Anschluss nicht verlieren. In der Lebensmittelindustrie gehen zwei Drittel der Produktion in den Export. Und je mehr wir hier an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, desto schwieriger wird es, dieses Geschäft aufrechtzuerhalten.

Die Agrana hat 50 Standorte über die Welt verteilt. Würden Sie noch einmal in Österreich investieren?

Wir wollen grundsätzlich immer in Österreich investieren, nur muss es sich natürlich auch rechnen. Wir sind ja keine Non-Profit-Organisation, sondern wir brauchen eine entsprechende Rendite. Im Moment sind Investitionen in Österreich schwierig darzustellen.

Zum ausführlichen Interview mit Stephan Büttner zum "Standort Österreich"

Wichtige Signalwirkung

Glauben Sie, dass ein günstiger Abschluss wie bei den Metallern auch in anderen Branchen gelingen wird?

Auf jeden Fall, das muss eine Signalwirkung haben. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht auf dem richtigen Weg sind im Moment – aber schon viele Jahre. Nur wenn etwas falsch läuft und man macht so weiter wie bisher, das wäre ja ziemlich crazy.

Welchen Wunsch an die Politik hätten Sie? Welche Reform ist für Sie vordringlich?

Der Energiepreis ist ein ganz wesentliches Thema. Da ist vieles auf der EU-Ebene angesiedelt, wo jetzt neue Möglichkeiten geschaffen werden, zum Beispiel, den Industriestrompreis zu fördern. Das wurde im Juni verabschiedet, und wir sehen, dass Länder wie Deutschland, sich darauf vorbereiten, davon Gebrauch zu machen. Da müssen auch wir die Lage sehr stark beobachten, dass wir hier nicht wieder hinten nach sind.

Was sagen Sie als Sprecher für die Lebensmittelindustrie zu den stark gestiegenen Preisen? Soll man die Mehrwertsteuer senken?

Zur Inflation ist eine heftige Debatte im Gange, die sozusagen über die Lebensmittelpreise getriggert wurde. Für mich ist das eher eine Nebelgranate, die den Blick auf die wirklichen Probleme verschleiert. Und das ist bei der Inflation der Energiepreis. Da braucht man sich nur die Daten anschauen. Man diskutiert also vollkommen über die falschen Themen. Und dann führt das noch zu einem Hin und Her zwischen dem Handel und den Produzenten. Das ist total überflüssig. Auf beiden Seiten wird hochprofessionell gearbeitet, da gibt es überhaupt nichts herzuschenken. Ich kenne niemanden, schon gar nicht in Österreich, der sich da eine goldene Nase verdient. Also von Übergewinnen zu sprechen und dann vielleicht auch noch Preiseingriffe zu tätigen, halte ich für völlig absurd.

Die Lebensmittelpreise dominieren aber den Alltag der Menschen ...

Da sind wir bei der selektiven Wahrnehmung. Dann soll jeder einmal schauen, wie sich sein Lohnzettel entwickelt hat in den letzten vier bis fünf Jahren. Und da muss man auch schauen, wo Österreich liegt im puncto Kaufkraft in der EU. Wir liegen weit vorne (Ö auf Platz 6, Anm.), und da kann man nicht erwarten, dass die Preise so sind wie z. B. in Rumänien.

Der Handel sagt, die Hersteller diktieren die Preise.

Ich bin nicht dazu da, um die Aussagen von Handelsvertretern zu kommentieren. Ich kann nur sagen, es macht überhaupt keinen Sinn, hier gegeneinander zu arbeiten. Wir dürfen auch die landwirtschaftliche Komponente, die Leistung unserer Bauern, nicht vergessen. Wir dürfen auch das Thema Regionalität nicht vergessen. Jetzt haben wir doch in den letzten Jahren super dieses Thema Ursprung Österreich, Regionalität, hohe Qualität aufgebaut. Auf dem basiert auch unser Export-Erfolg. Und wir wollen jetzt „Geiz ist geil“? Das funktioniert nicht.

Sie sind auch selbst Konsument und müssen Ihren täglichen oder wöchentlichen Einkauf erledigen. Wie sehen Sie die Rabattschlacht, die wir im Handel erleben, mit Markerln, Jokern, Apps usw.? Nützlich oder nervig?

Die Frage ist, wer zahlt es? Wenn ein Pickerl draufgeklebt wird auf die Ware, dann wird das eins zu eins an den Produzenten verrechnet. Der Handel versucht aber nur, sein Geschäftsmodell umzusetzen. Dafür habe ich volles Verständnis. Und ich halte nichts von diesen Neiddebatten oder davon, mit dem Finger auf die anderen zeigen.

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