Jennifer Lawrence in einer neuen Dimension der Verzweiflung

Jennifer Lawrence mit blonden Haaren und Pony trägt ein goldenes Halsband.
Seit Jahren spielt die US-Amerikanerin Frauen am Rande des psychischen Zusammenbruchs.

Jennifer Lawrence weiß, wie sich Kontrollverlust anfühlt - zumindest auf der Leinwand. Seit Jahren spielt sie Frauen am Rande des psychischen Zusammenbruchs. Auch in "Die My Love", dem neuen Film von Lynne Ramsay, der am Donnerstag in den heimischen Kinos anläuft. An der Seite von Robert Pattinson verkörpert sie darin eine junge Mutter, die mit ihrem Partner aufs Land zieht und langsam wahnsinnig wird.

Grace wollte eigentlich Schriftstellerin werden, sitzt jetzt aber alleine mit ihrem Baby in Montana. Ihr Partner ist viel für die Arbeit unterwegs, ihr einziger anderer Kontakt ist ihre Schwiegermutter (Sissy Spacek). Grace streift nachts durch die Wälder, verletzt sich selbst, robbt mit einem Messer durchs Gras, verliert sich in Sexfantasien mit einem Nachbarn - und landet letztlich in der Psychiatrie. Womöglich leidet sie an einer postpartalen Depression - also einer depressiven Erkrankung, die nach der Geburt des eigenen Kindes auftritt -, vielleicht ist sie auch einfach wütend aufs Patriarchat.

Jennifer Lawrence: "einfach eine Traumrolle"

"Ich glaube, jede Schauspielerin würde sagen, dass das einfach eine Traumrolle ist", sagte die Oscar-Preisträgerin im Interview der dpa. Sie sei für den Film an einen "wilden, rauen, ungezähmten Ort" gereist. Vor allem wegen der intensiven Performances von Lawrence und Pattinson ist "Die My Love" sehenswert. Auch Optik und Sound sind besonders. Ramsay rahmt ihre Figur in enge, grell getönte Räume, lässt das Surren von Fliegen, das Kläffen eines Hundes und verzerrte Musik durch die Szenen dringen, als wäre der Sound selbst ein Spiegel der inneren Unruhe von Grace.

"Die My Love" ist die Verfilmung eines Buchs von Ariana Harwicz. Träume, Fantasien und das tatsächliche Geschehen verschwimmen im Roman wie auch im Film. Sie habe gewusst, dass es schwierig sein würde, das Buch zu verfilmen, sagte Lawrence, da nicht alles wörtlich zu nehmen sei. Sie habe es letztlich als Poesie definiert - und ihr sei klar geworden, dass Ramsey ("We Need to Talk About Kevin") die Einzige sei, die diese Poesie in einen Film verwandeln könne. Lawrence ist auch eine Produzentin des Films.

Martin Scorsese wollte Jennifer Lawrence in diesem Film sehen

Außerdem habe Martin Scorsese das Buch gelesen und sie darauf angesprochen, ob sie die Rolle nicht spielen wolle, führte die 35-Jährige aus. Gut, dass Lawrence seinem Rat gefolgt ist. Der Film lebt von ihr und den vielen verschiedenen Arten, wie sie der Langeweile, Verzweiflung und Wut ihrer Figur Ausdruck verleiht.

In einer Szene tigert sie auf allen vieren durch die Wohnung und bellt ihren Hund an. Später wirft sie sich gegen eine Glaswand und fällt in ein Meer aus Scherben, oder kratzt die Tapete im Bad herunter. Auf einer nachmittäglichen Feier mit Kindern zieht sie sich plötzlich aus und springt in Unterwäsche in den Pool.

Film als Kampfaufruf

Was würde sie Frauen mit dem Film gerne mitgeben? "Ich denke, wenn ich nur eine Erkenntnis nennen dürfte, dann wäre es diese: Dass sie nicht allein sind, wenn sie unter Depressionen, Angstzuständen oder postpartalen Beschwerden leiden." Der Film sei ein "Aufruf zum Kampf, was die Erfahrungen von Frauen angeht".

Im Film sagt ihre Figur an einer Stelle zu einem Psychiater: "Ich habe kein Problem damit, mich an meinen Sohn zu binden. Er ist perfekt. Es ist alles andere, das beschissen ist." Ein Kommentar zu einer Gesellschaft, die viele als frauen- und mütterfeindlich empfinden. In der Frauen oft die hauptsächliche Verantwortung für ein Kind haben oder sich zumindest in ihrem Leben nach der Geburt am meisten ändert.

Bezug zu Kultfilm "A Woman Under the Influence"

Lawrence erzählte, dass der Kultfilm "Eine Frau unter Einfluß" (Originaltitel: "A Woman Under the Influence") aus dem Jahr 1974 eine Inspiration für sie war. In dem Drama von John Cassavetes verkörpert Gena Rowlands eine Hausfrau und Mutter, die von ihrem Umfeld für ihre Erziehungsweise und Lebensart verurteilt wird. Ihr Partner ("Columbo"-Darsteller Peter Falk) lässt sie zwischenzeitlich in die Psychiatrie stecken, also dorthin, wo auch Grace in "Die My Love" vorübergehend landet. Beide Filme erzählen etwas von einer Welt, in der es einfacher ist, die Mutter verantwortlich zu machen - anstatt darüber nachzudenken, ob es vielleicht die gesellschaftlichen Bedingungen sind, die Mütter manchmal an den Rande des Wahnsinns bringen.

Kommentare