Andrea Sawatzki: "Als Kind gewünscht, dass mein Vater stirbt"

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In ihrem neuen Roman "Biarritz" arbeitet die erfolgreiche Schauspielerin und Autorin erneut ihre schwierige Kindheit auf. Diesmal geht es vor allem um ihre Mutter.

Andrea Sawatzki gehört seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten und beliebtesten deutschen Schauspielern und Schauspielerinnen. Die 62-Jährige ist aber auch Bestsellerautorin. Egal, ob vor der Kamera oder zwischen den Buchseiten: Sawatzki hat keine Angst davor, tief in ihre Seele blicken zu lassen. Und in ihre Kindheit.

Schon in ihren höchst erfolgreichen Romanen "Ein allzu braves Mädchen" und "Brunnenstraße" thematisiert sie die Alzheimer-Krankheit ihres Vaters und und dessen herausfordernde Pflege, die sie bereits als Kind übernehmen musste. In ihrem neuen Werk "Biarritz" geht es nun um das Verhältnis zu ihrer Mutter – denn dieses war alles andere als einfach. 

"In mir saß lange ein Groll meiner Mutter gegenüber"

Lange hätte sie sich gegen den neuen Roman gesträubt, verrät Sawatzki im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Das Buch sei ein Prozess von drei Jahren gewesen. "Es stimmt, in mir saß lange ein Groll meiner Mutter gegenüber", so die Schauspielerin. "Ich konnte ihr lange nicht verzeihen. Erst spät habe ich begriffen, dass die Beziehung zu ihr noch nicht aufgearbeitet war. Es ist immer leicht zu sagen, die Mutter hat sich nicht gekümmert. Aber warum das so war, dafür muss man sich mit einem Menschen auseinandersetzen. Davor schrecken viele Kinder zurück. Ich tat das anfangs auch."

Ihre Mutter hatte die Pflege ihres dementen Ehemannes, der sie zuvor wegen einer Geliebten verlassen hatte, danach aber wieder zurückkehrte, als diese Suizid beging, vollkommen ihrer Tochter überlassen. Eine Entscheidung, mit der Sawatzki lange haderte. Heute aber hat sie mehr Verständnis für ihre Mutter: "Sie musste dann in einem englischen Haushalt arbeiten. Sie wurde sozusagen entsorgt", so Sawatzki gegenüber der Zeitung Bild. "Sie hat das Gefühl Familie deshalb nie erlebt und auch nie gelernt, was es heißt, Mutter zu sein."

"Ich hab das doch alles nur für dich getan"

Auch im Gespräch mit der Süddeutschen betont sie, dass sie inzwischen gelernt habe, ihre Mutter zu verstehen. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, ihre dunkelsten Gedanken, die sie als Kind hatte, zu verraten: "Meine Mutter entstammt der Generation, in der man geschwiegen hat. Ich konnte nie mit ihr darüber sprechen, was damals wirklich passiert ist, vor allem auch in den Nächten. Es ging ja so weit, dass ich mir als Kind gewünscht hatte, dass mein Vater stirbt."

Auf Nachfrage der Süddeutschen, ob damit Übergriffe gemeint seien, antwortet Sawatzki: "Ja. Sie hat sich da immer so rausgezogen und gesagt: Komm, lass uns nicht darüber reden. Ich hab das doch alles nur für dich getan." Zudem sei sie überzeugt, dass ihre Mutter sich selbst "nicht geliebt" habe, "das ist oft der Schlüssel". Eine Frau voller Widersprüche: "Meine Mutter hatte das größte Herz, sie war eine der besten Krankenschwestern. Aber sie hatte auch Angst, dass man ihr zu nahe kommt. (...) Sie fand sich hässlich mit der kaputten Nase. Sie fand sich nicht gut genug. Sie hat sich geschämt, Krankenschwester zu sein."

"Habe meine Kindheit sehr sorgfältig austherapiert"

Natürlich war es kein leichter Weg, die Taten der eigenen Mutter zu verstehen. Als Sawatzki selbst Mutter wurde (gemeinsam mit Ehemann Christian Berkel hat sie zwei inzwischen erwachsene Söhne), begann sie, ihre eigene Kindheit aufzuarbeiten, erläutert sie in der Bild. "Ich glaube, man kann nur eine gute Mutter sein, wenn man sich selbst akzeptieren kann, was ich bis dato selbst nicht konnte", ist sie überzeugt. "Insofern habe ich meine Kindheit sehr sorgfältig austherapiert." Und weiter: "Ich konnte irgendwann gut weiterleben, ohne dass meine Mutter ein Verständnis für mich und mein Leben gezeigt hätte."

Sawatzkis Mutter starb 2020. Das Schreiben ihres neuen Romans hat dazu beigetragen, sich auszusöhnen. "Jetzt, da das neue Buch fertig ist, ist es tatsächlich so: Immer, wenn ich an meine Mutter denke, fange ich fast an zu heulen", lässt Sawatzki im Interview mit der Süddeutschen Zeitung tief blicken. "Diese harte Wand, die lange da war, ist weg. Immer wenn ich was Schönes erlebe, denke ich: Jetzt muss ich Mama anrufen. Das ist dann schön und traurig zugleich, weil sie ja nicht mehr da ist."

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