Überflieger Kraft vor der Vierschanzentournee: "Das macht süchtig"
Nach fünf Saisonsiegen geht Kraft als Top-Favorit in den ersten Bewerb in Oberstdorf. Warum es für den Salzburger so gut läuft, erklärt er im großen Gespräch.
Wenn Stefan Kraft von seinen letzten Wochen erzählt, dann würde man nie glauben, dass da gerade der beste Skispringer der Gegenwart vor einem steht. Der Salzburger berichtet etwa, dass er beim Weltcup in Engelberg nach der Massage „nicht mehr allein aufstehen konnte“, weil ihn der Rücken gezwickt hat. „Ich habe Schmerzmittel gebraucht.“
Er verrät außerdem, dass er im Krankenhaus war, Spezialisten aufsuchte und sich durchchecken ließ. „Die letzten zehn Tage haben ganz dem Körper gehört“, sagt Kraft, der heute in Oberstdorf als Topfavorit in die Vierschanzentournee startet (17.15 Uhr, live ORF1). „Die Rückenprobleme waren in den letzten Wochen echt zach“, erzählt der fünffache Saisonsieger.
KURIER: Wie springen Sie dann erst, wenn Sie einmal topfit sind?
Stefan Kraft: Möglicherweise tun mir diese Probleme gar nicht einmal so schlecht, weil ich dadurch abgelenkt bin.
Fällt Ihnen irgendein plausibler Grund ein, warum Sie bei dieser Tournee nicht der Topfavorit sein sollten?
Schwierig. Aus der Nummer komme ich nicht raus. Aber das stört mich auch gar nicht, ich bin bereit, die Favoritenrolle anzunehmen. Ich bin megahappy, wie es springerisch läuft, das Selbstvertrauen ist da. Und das wird in den letzten zehn Tagen auch nicht verloren gegangen sein.
Fünf Siege in acht Springen: Hat Sie der fulminante Saisonstart selbst überrascht?
Damit kann man weder rechnen, noch kannst du das planen, du kannst dir so einen Start nur wünschen. Jeder Skispringer träumt davon, einmal so einen Flow erleben zu dürfen mit dieser Form und diesem Lauf.
Also ist das auch für Sie eine neue Erfahrung?
Ich habe schon öfter zwei Springen hintereinander gewonnen, aber dann war immer wieder einmal ein Trainingssprung dabei, bei dem es nicht so gelaufen ist. Das ist heuer nicht der Fall. Die Form ist im Moment so gut, dass fast jeder Sprung gelingt. Ich weiß: Wenn ich alles halbwegs beisammen habe, dann scheint sogar der Einser auf. Im Moment kommen meine besten Sprünge fast immer im Wettkampf. Das ist ein gutes Zeichen, dass viel zusammenstimmt. Ich genieße das schon sehr, dass ich das in dieser Form erleben darf.
Dabei waren Sie in Ihrer Karriere schon öfter in Topform.
Selbst wenn ich im Moment einen kleinen Fehler mache, dann kommt immer noch etwas Gutes heraus. Das sagt mir, dass das Grundkonzept passt – und zwar so gut wie noch nie in meiner Karriere. Mein Sprung ist noch einmal stabiler geworden.
Woran denken Sie im Moment, wenn Sie oben am Balken sitzen? Haben Sie den Autopiloten eingeschaltet?
Es ist kein Selbstläufer. Ich muss mich da oben schon immer richtig herholen, fokussieren und auf meine wichtigen Punkte achten. Wenn ich das nicht mache, bin ich sofort nur mehr Auf Rang 20. Ich muss schon konsequent umsetzen, was zu tun ist.
Sie wirken aber sehr befreit.
Diese Leichtigkeit ist auch das Um und Auf im Skispringen. Wenn du die Lockerheit hast, dann macht das Skispringen Spaß. Und wenn du dann auch noch im Flow bist, dann geht’s noch einmal besser. Ich weiß: Wenn ich den Sprung richtig erwische, dann kann ich über die grüne Linie runterziehen.
Was könnte Sie im Moment aus der Bahn werfen? Ich hatte in dieser Saison auch schon ein, zwei Sprünge, die nicht wirklich ideal waren. Die haben mir in Erinnerung gerufen, dass nichts von selbst geht. Das hat meine Sinne geschärft, dass sich ja nicht irgendwas einschleift und man meint: Du bist da der Superstar. Es geht darum, am Boden zu bleiben und voll weiter zu arbeiten und meine Sachen machen. Und je öfter ich das unbeeindruckt hinkriege, umso besser wird es auch laufen.
Worauf kommt es bei der Vierschanzentournee an?
Ich sag’s offen: Ich bin echt froh, dass ich die Tournee schon gewonnen habe und mir diesen Sieg keiner mehr wegnehmen kann. Eigentlich ist es richtig schwer, schwieriger als ein Gesamtweltcupsieg.
Was ist die Challenge?
Du musst in diesen knapp zwei Wochen voll da sein und darfst dir nichts erlauben. Ich bin einmal kränklich zur Tournee angereist – das war dann nichts. Einmal habe ich während der Tournee einen Noro-Virus aufgeschnappt. Dann hast du ein, zwei Mal Pech mit dem Wind, in einem anderen Jahr verhaust du vielleicht einen Sprung und bist weg vom Fenster, einmal bist du nicht in Topform – und so sind die letzten Jahre seit meinem Tourneesieg 2015 vorüber gegangen.
Was war damals bei Ihrem Sieg entscheidend?
Bei mir hat die Tournee lässig angefangen mit meinem ersten Weltcupsieg in Oberstdorf. Dann schwebst du auf der Euphoriewelle dahin und dann kann es passieren, dass Leute plötzlich alle vier Tourneespringen gewinnen. Du hast die Leichtigkeit und die anderen versuchen, dich zu erwischen und übertreiben es dann. Wobei ich für mich immer noch nicht vorstellen kann, wie jemand alle vier Tourneespringen gewinnt. Hut ab, wer das geschafft at.
Gehen Sie heute anders in Tournee als mit 20 Jahren?
Mir kommt fast vor, dass der Nervenkitzel jedes Jahr noch größer wird. Ich bin bei einem Tourneespringen immer noch voll aufgeregt. Das ist auch schön, wenn das Feuer so brennt. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn ich richtig aufgeregt bin, dann kommt meistens etwas Besseres heraus.
Themenwechsel: Sie halten bei 105 Podestplätzen im Weltcup und könnten bei bald den Finnen Janne Ahonen (108) als Nummer 1 ablösen. Wie wichtig wäre Ihnen dieser Rekord?
Schon allen wenn ich die Zahl 105 höre, bekomme ich Gänsehaut. Janne Ahonen war immer eines meiner Idole. Sollte ich irgendwann einmal der Skispringer mit den meisten Stockerlplätze sein, wäre das unglaublich. Darauf wäre ich unheimlich stolz.
Und dann gäbe es ja auch noch den Rekord von Gregor Schlierenzauer (53 Weltcupsiege). Auf ihn fehlen 18 Siege. Zehn Siege haben Sie allein seit November 2022 gefeiert. Ist das realistisch?
Da müsste ich ja so lange springen wie der Noriaki Kasai. Im Moment freue ich mich über jeden einzelnen Sieg und wenn ich die Hymne hören darf. Das macht süchtig. Und ich will das immer wieder hören und erleben.
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