Krise von Tennis-Star Thiem: Muster als Vorbild und Hoffnung
Die Chancen auf den Nobelpreis für Literatur sind für Dominic Thiem eher übersichtlicher Natur, aber er hat schon irgendwie recht, wenn er angelehnt an Erich Fried seinen Ist-Zustand wie folgt erklärt: „Es ist, wie es ist.“
Aber warum ist es, wie es ist? Die Momentaufnahme zeigt eben wieder eine Niederlage, die sechste im siebenten Bewerbsspiel heuer. Der 29-jährige Niederösterreicher unterlag beim ATP-500-Turnier von Rio de Janeiro dem Brasilianer Thiago Monteiro, Nummer 83 weltweit, mit 1:6, 6:3, 6:7 (2) und muss eben wieder erklären, wie es dazu kam. „Ich bin schlecht gestartet, habe mich dann gut reingefightet, im dritten Satz hat mir dann die letzte Überzeugung gefehlt.“
Die Überzeugung? Klingt nicht nach dem großen Vertrauen in sich selbst, klingt eher weniger nach einem baldigen Durchmarsch. Abgesehen von spielerischen Mängeln – wo hat Thiem die Vorhand gelassen – darf man dem ehemaligen Weltranglisten-Dritten wohl mentale Mängel attestieren.
„Aufreibend“
Für Thomas Muster, 1996 die Nummer eins der Welt, kommen diese nicht ganz unerwartet. Immerhin muss sich sein legitimer Nachfolger an der Weltspitze nach einer Handgelenksverletzung, die ihn zu einer neunmonatigen Pause zwang, erst zurückarbeiten. „So etwas ist aufreibend, körperlich, aber auch psychisch“, weiß Muster, der diese Situation kennt.
Der Steirer war auf dem Weg in die Weltspitze und zog in dieser Phase in die Top Ten ein, als ihn ein Betrunkener am 31. März 1989 vor dem Finale in Key Biscayne über den Haufen fuhr. Eine schwere Knieverletzung war die Folge. Muster kämpfte sich zurück, die Bilder, wie er für sein Comeback schuftete, sind nicht nur Tennisfans bekannt. Schon ein Jahr später setzte er den Erfolgslauf fort, er kam bei den French Open bis ins Semifinale.
1991 folgte der mentale Einbruch, Muster griff wieder zu den Zigaretten und spielte DJ in einem Nachtlokal.
Schwieriger Weg
Parallelen zu Thiem? Auch der Niederösterreicher klopfte im Herbst zumindest wieder an die Spitze an, schlug beispielsweise mit dem Polen Hubert Hurkacz einen gegenwärtigen Weltklassemann und forderte andere Topleute.
Der Weg zurück scheint dennoch schwieriger zu sein als der Weg generell nach oben. „Eine Tennisregel besagt, du brauchst, um ganz zurückzukommen, die Zeit, in der du verletzt warst, mal drei“, erklärte Muster im Oktober bei kurier.tv. Doch die Unterschiede zwischen Muster und Thiem liegen auf der Hand: Muster war in seiner mentalen Krisenphase 23 bis 24 Jahre alt, Thiem wird am 3. September 30. Geht es nach der Tennisregel, wird man von Thiem Wunderdinge erwarten können, wenn er 33 ist. Muster war 1995 mit 27 auf dem Höhepunkt seiner Karriere (in diesem Alter gewann Thiem 2020 bei den US Open seinen bisher einzigen Grand-Slam-Titel).
Weiterentwicklung
Thomas Muster war zudem eine Maschine auf dem Platz, konnte mit seiner Spielweise, die auf Kampfgeist und Kondition vertraute, auch der Weiterentwicklung im Tennissport trotzen. Dominic Thiem hingegen muss selbst besser werden, um annähernd dorthin zu kommen, wo er einmal war. Alles nicht ganz unrealistisch.
Jedoch: Wenn die letzte Überzeugung nicht vorhanden ist, bleibt es, „wie es ist“.
Kommentare