"Wie in der Kirche": Die Snooker-WM in Zeiten von Corona
Corona sorgt beim Turnier in Sheffield für neue Tischmanieren. Der Applaus kommt aus der Konserve.
11.08.20, 05:00
„Er ist fünffacher Weltmeister im Crucible, er ist The Rocket, er ist Ronnie O’Sullivan!“
Rob Walker, der legendäre Sprecher im Crucible Theatre, schreit sich fast die Seele aus dem Leib, als er bei der WM in Sheffield in seiner unnachahmlichen Art den Snooker-Star präsentiert. Tradition verpflichtet nun einmal in diesem Sport, der so viel Wert auf die Pflege der guten alten Sitten legt. Auch wenn Rob Walker die Show nur für die Spieler und die Fernsehzuschauer abzieht. Die 980 Sitze im ehrwürdigen Crucible Theatre sind nämlich leer.
Ursprünglich hätten 250 bis 300 Fans Zutritt bekommen sollen, doch von diesem Plan sind die WM-Veranstalter kurz vor dem Turnier wieder abgerückt, nachdem es wüste Proteste gehagelt hatte. Der asthmakranke englische Profi Anthony Hamilton hatte deshalb seine Teilnahme sogar zurückgezogen.
Als Ersatz für die fehlenden Ovationen der Besucher wird jetzt nach besonders spektakulären Aktionen ein Applaus aus der Konserve eingespielt. Die Atmosphäre bleibt trotzdem – oder gerade deswegen – gespenstisch. „Es fühlt sich irgendwie an, als ob du in der Kirche wärst“, sagte John Higgins, der bislang für das Highlight der WM gesorgt hatte. Dem Schotten war ein Maximum Break gelungen, wie das perfekte Spiel (147 Punkte) genannt wird.
Aber nicht nur die Kulisse scheint die Spieler zu irritieren, auch die Hygieneregeln in Zeiten von Corona scheinen die sensiblen Sportler zu beeinträchtigen. Ex-Weltmeister Stuart Bingham machte etwa die desinfizierten Kugeln für seine schwache Leistung verantwortlich.
Nur Superstar Ronnie O’Sullivan scheint sich im leeren Crucible Theatre wohlzufühlen. Er verspüre dadurch „weniger Druck“ auf seinen Schultern, meint der 44-Jährige, der seit 25 Jahren zu den Topstars der Szene zählt. Und wenn’s nach ihm geht, wird das noch länger so bleiben. Vor dem Viertelfinale meinte der Exzentriker angesprochen auf die junge Konkurrenz. „Ich müsste einen Arm und ein Bein verlieren, damit ich aus den Top 50 falle.“
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