Mythos Ötztaler Radmarathon: "Ich schau, was der Körper so hergibt"

Eine kurvenreiche Bergstraße schlängelt sich durch eine bewaldete Landschaft.
Olympiasieger, Weltmeister, Lokalmatadore, Hobbysportler: 4.000 Teilnehmer aus 40 Nationen stehen am Sonntag in Sölden am Start - auch der Autor.

Trotz der Uhrzeit geht es hektisch zu. Es ist 5 Uhr Früh, draußen noch stockdunkel, und dennoch sitzen die meisten Teilnehmenden schon in voller Montur und hochnervös vor ihrem Frühstück. Nur einer hat die Ruhe weg: Karl Schmisl, Chef der Pension Sportalm in Sölden. Er bereitet seinen Gästen frische Eierspeis zu, fragt tiefenentspannt nach, ob eh alles passt.

Kein Wunder: Der Routinier und Söldner Lokalmatador, der im kommenden Jahr seinen 50er feiert, hat seit 2003 jeden Ötztaler Radmarathon bestritten und kann auf eine respektable Bestzeit von 7:23 Stunden verweisen. 

"Natürlich macht sich der Heimvorteil bezahlt, ich kenne jeden Meter. Im Jahr trainiere ich so 3.500 Kilometer; eigentlich fahre ich jede Woche so vier- bis fünfmal aufs Timmelsjoch. Dadurch kommen wenige Kilometer aber umso mehr Höhenmeter zusammen. Heuer will ich es gemütlicher angehen lassen. Ich schau, was der Körper so hergibt. Aber Hauptsache es wird wieder eine lässige Runde!"

Wenn an diesem Sonntag um 6:30 Uhr der Startschuss in Sölden fällt, steht Karl Schmisl mit Startnummer 15 wieder ganz vorne im ersten Startblock. Hinter den Vorjahressiegern und der angereisten Sportprominenz fiebern mehr als 4.000 Teilnehmer dem Rennen entgegen. Besonders in der Startphase das Tal hinaus Richtung Ötz geht es hoch nervös zu, erst beim Anstieg nach Kühtai wird es ruhiger, zieht sich das Feld endlich in die Länge. 

Schmisl muss man bei seinem 22. Ötztaler nichts mehr erklären: "Es ist einfach das beste Rennen, das es gibt."

Ein Radfahrer posiert mit zwei jungen Frauen, die T-Shirts mit dem Aufdruck „Papa Karli ist der Beste“ tragen.

Söldner Lokalmatador Karl Schmisl mit Töchtern

Die "lässige Runde", von der er spricht, geht über vier Pässe: Kühtai, Brenner, Jaufenpass und zum Schluss über das gefürchtete Timmelsjoch zurück nach Sölden. Die 227 Kilometer, gespickt mit furchteinflößenden 5.500 Höhenmetern, haben es auch  Benjamin Karl angetan. 

Heuer bestritt der Snowboard-Olympiasieger und Weltmeister schon einige Radrennen, er hat bereits 8.000 Kilometer in den Beinen. "Der Radsport ist für mich die wichtigste Sportart in der Vorbereitung auf die Wintersaison. Schon als 10-Jähriger wollte ich MTB-Profi werden. Seit damals lebe ich diesen tollen Sport mit Leib und Seele aus." 

Benjamin Karl schwärmt vom "Mythos" Ötztaler: "Alle reden von dem Klassiker, jeder will seine Zeit wissen."

Ein Radfahrer fährt eine asphaltierte Straße in den Bergen hinauf.

Snowboard-Crack Benjamin Karl. Er wollte als 10-Jähriger MTB-Profi werden

Der 39-Jährige fährt am Sonntag zum dritten Mal mit, zum ersten Mal will der Niederösterreicher aber so richtig Gas geben: "Bisher fuhr ich die Runde mit Freunden, die Zeit war nebensächlich. Das soll sich heuer ändern, ich will alles geben. Auch wenn das Profil mit 5.500 Höhenmetern einem 88 Kilogramm-Mann nicht gerade in die Karten spielt. Aber eine Zeit unter acht Stunden wäre super!"

Eine Gruppe von Radfahrern fährt eine kurvenreiche Straße in den Bergen hinauf.

Teilnehmer auf dem Weg nach Kühtai

Für noch so ambitionierte Amateure, wie den Autor dieser Zeilen, bleiben solche Zeiten in aller Regel ein Wunschtraum. Seit dem ersten Antritt 2013 sind etliche Jahre ins Land gezogen und trotz der jährlichen 10.000 Trainingskilometer war noch nie eine Zeit unter neun Stunden drin. 

Auch in diesem Jahr ist der Ötztaler nicht leichter, keiner der Berge flacher geworden. Aber auch ohne neue Bestzeit schwingt immer ein wenig Stolz mit, wenn man in Sölden als Finisher des legendären Radmarathons ankommt. Schließlich reden alle von der inoffiziellen WM für Jedermänner und -frauen.

Der überwiegende Teil der mehr als 4.000 Teilnehmer aus rund 40 Nationen fährt Zeiten jenseits der Zehn-Stunden-Marke. Die Letzten kommen nach fast 14 Stunden wieder in Sölden an und werden gefeiert wie die Stars, die nur halb so lange brauchen. 

Die Bestzeit holte im Vorjahr zum zweiten Mal der in Tirol lebende Kanadier Jack Burke in 6:49. Er ist auch heuer wieder das Maß aller Dinge, davon gehen alle Beteiligten aus. Burke gilt als einer der besten Radmarathon-Fahrer der Welt.

Überaus erfreulich ist der steigende Anteil an Teilnehmerinnen. Mittlerweile starten rund 400 Damen, also rund zehn Prozent aller Teilnehmenden. Der "weibliche" Streckenrekord von Zweifachsiegerin Janine Meyer aus Deutschland liegt bei 7:26:26. Sie gilt auch dieses Mal wieder als Top-Favoritin.

Radfahrer nehmen an der 36. Dolomitenradrundfahrt in Österreich teil.

Sarah Dreier bei der Dolomitenrundfahrt in Lienz

Unter den weiblichen Promis feiert Sarah Dreier, Vizeweltmeistern im Skibergsteigen und Weltcupsiegerin aus Salzburg ihre Ötzi-Premiere. "Heuer bin ich vermehrt Intervalle gefahren, um noch besser über die hohen Berge zu kommen." 

Dreier war 2023 als Zuschauerin vor Ort. "Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich auch irgendwann beim "Nonplusultra" aller Radmarathons mitfahren will", sagt die 29-Jährige. 

Sie nutzt das Radfahren für ihre Paradedisziplin vor allem für das Training der Grundlagenausdauer. Die Zeit ist für sie Nebensache. "Ich möchte einfach einen traumhaften Tag in den Bergen genießen, alles so richtig aufsaugen und natürlich wieder heil nach Sölden kommen."

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