Veganismus im Spitzensport: „Mir wurde bewusst: Ich bin ein Heuchler“

Beim Marathon in Wien kam er nach 2:15:01 Stunden als schnellster Europäer ins Ziel. Den Wings for Life Run nahm er einen Monat später ganz locker – und wurde unter 310.719 Teilnehmern weltweit Zweiter und lief dabei 68,54 Kilometer. „Ab Kilometer 50 oder 55 bin ich müde geworden“, sagt er und bestellt im Ströck in seinem Heimatort Gerasdorf einen Chai Latte mit Hafermilch.
Im Herbst möchte er wieder einen Marathon laufen. Seine Bestzeit liegt bei 2:13:43. „Das ist aber noch weit weg von meinem Potenzial, wenn man meine Vorleistungen auf der Bahn sieht. Ganz nüchtern betrachtet, müsste da noch was gehen“, sagt er, um sich dann einem Thema zu widmen, auf das er immer wieder angesprochen wird. Spitzensport und Veganismus.
KURIER: Seit wann und warum leben Sie als Spitzensportler vegan?
Andreas Vojta: Seit sieben Jahren. Zuvor habe ich mich zwei Jahre vegetarisch ernährt. Aber Milch- und Ei-Industrie ist auch nicht das, was ich unterstützen will. Mein Antrieb ist vor allem ethisch-ökologisch. Es hat nichts damit zu tun gehabt, dass ich schneller laufen oder gesünder sein wollte. Ich will zeigen, dass es geht und wie es geht. Ich zeige, dass man nicht den plötzlichen Protein-Tod stirbt, und ich bin mindestens gleich gut wie zuvor.
Gab es ein ausschlaggebendes Ereignis für die Umstellung?
Ich habe einmal eine Doku über St. Moritz gesehen. Da hat eine Frau über ihren Pelzmantel gesprochen und gesagt: ‚Ich habe das Tier ja nicht getötet.‘ Ich habe mich darüber unheimlich aufgeregt und dabei ein Hendl gegessen. Da wurde mir bewusst: Ich bin ein Heuchler.
Wie sieht die vegane Ernährung eines Spitzensportlers aus?
Man darf sich das nicht so kompliziert vorstellen. Der größte Teil meiner Ernährung war immer schon pflanzlich. Deshalb war die Umstellung nicht schwer. Das Essen ist dasselbe wie früher, nur dass ich mir statt einem Hendl jetzt Tofu anbrate. Es geht vor allem um Grundnahrungsmittel. Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse und dann halt Obst als Snack und ein paar Körndln und Samen. Das bekommt man in jedem Supermarkt. Ich brauch kein Schnitzel oder Thunfisch. Und ich spüre auch kein Verlangen danach.
Und wenn Sie ausgehen?
Ich gehe nicht viel auswärts essen. Aber wir sind in Wien ja sehr verwöhnt. Und auch beim Heurigen habe ich mir immer etwas zusammenstückeln können.

Fühlen Sie sich körperlich anders als vor sieben Jahren?
Das ist sehr subjektiv. Gefühlt ist die Regeneration nach harten Trainingseinheiten besser geworden. Klar ist aber: Ich bin als Veganer weder dem Tode nahe wegen Mangelerscheinungen, noch heile ich durch meine Ernährung alle Krankheiten. Wenn man veganes Schnitzel, vegane Pommes und veganes Eis isst, ist das deswegen nicht gesund.
Als Top-Sportler versucht man, die letzten Prozente herauszuholen. Haben Sie einen Ernährungsberater?
Natürlich schau ich mir als Leistungssportler regelmäßig mein Blutbild an. Ich schaue, ob ich Nährstoffe optimieren muss. Das hätte ich aber auch gemacht, wenn ich Mischköstler wäre. Aber prinzipiell bin ich sehr naiv an die Sache herangegangen. Ich habe gewusst, dass ich einen Nährstoffbedarf habe, egal wie der jetzt gedeckt wird. In größeren Sportteams, wo es um viel Geld geht, wie in der NFL, wird sicher wissenschaftlicher an das Thema herangegangen. Aber ich bin schon lange im Sport und habe ein gutes Gefühl für den Körper. Ich esse sehr intuitiv.
Was führen sie zu?
Vitamin B12. Das soll oder muss supplementiert werden und ist das Einzige, das als vegan-spezifisch tituliert werden muss. Unabhängig davon bin ich sehr gegen das allgemeine Supplementieren. Supplements machen nur einen Sinn, wenn man zuvor ein Blutbild gemacht hat. Das ist aber nur ein Thema für mich als Leistungssportler, weil ein Promille schon einen Unterschied machen kann. Der größte Teil der Hobbysportler haut sich teure Sachen rein und scheidet diese dann wieder aus. Es wird nur teurer Urin produziert.
Kennen Sie viele Sportler, die vegan leben?
Die besten Läufer kommen aus Kenia. Die meisten ernähren sich dort intuitiv – und das ist großteils pflanzlich. Dort isst man nicht Fleisch, Käse und Eier, das ist dort ein Luxus. Sie essen Reis, Ugali (Maisbrei; Anm.), Bohnen, Linsen, Kichererbsen und Gemüse. Nur wenn es ein Fest gibt, wird etwas Tierisches serviert. Abgesehen davon werden immer wieder die prominenten Beispiele wie Lewis Hamilton und Novak Djokovic hervorgehoben. Vermutlich entspricht der Anteil der veganen Sportler jenem in der Gesamtbevölkerung, also ein bis fünf Prozent. Ich glaube, viele Sportler haben noch keine Ahnung, was mit Ernährung möglich ist. Es gibt immer noch Sportler, die Junkfood essen.
Wie viele Kalorien brauchen Sie in einer Trainingsphase?
In der Vorbereitungsphase auf einen Marathon laufe ich 150 bis 200 Kilometer pro Woche. Da brauche ich zwischen 4.000 und 4.500 Kalorien pro Tag. Das ist so viel, wie ein Pärchen aus Mann und Frau gemeinsam benötigt. Aber ich habe noch nie meine Kalorien gezählt. Ich habe über all die Jahre immer das gleiche Gewicht. 75 Kilo auf 1,89 Meter. Damit bin ich unter den Läufern fast schon ein Schwergewicht.
Wie sehen Ihre Mahlzeiten aus?
Sie sind groß. Mit großen Mengen und viel Volumen habe ich nie Probleme gehabt. Grundsätzlich habe ich drei Hauptmahlzeiten mit Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Aber wenn man richtig im Training ist, isst man fast durchgehend. Mein Frühstück ist jeden Tag gleich. Ich weiche mir 100 Gramm Haferflocken über Nacht in Sojamilch ein. Dann gebe ich mir Beeren, Nüsse und Leinsamen rein. Das ist ernährungstechnisch super und mir schmeckt es sehr gut. Und für mich muss es auch billig sein, ich esse ja für zwei Leute. Nudeln mit Tomatensauce und Gemüse reichen für mich vollkommen aus.
Was halten Sie vom Protein-Hype bei Hobbysportlern?
Ich glaube, die Marketing-Abteilungen der Hersteller haben eine gute Arbeit geleistet. Es stimmt: In einem Zeitfenster von 30 bis 60 Minuten nach dem Training ist es optimal, Nährstoffe zuzuführen. Aber die Leute glauben, sie müssen sich permanent Protein reinschießen, nur weil sie zwei Mal pro Woche ins Fitnesscenter pumpen gehen. Nicht falsch verstehen: Protein ist ein wichtiger Baustein in der Regeneration, damit Muskulatur wieder aufgebaut werden kann. Aber es wird total unterschätzt, was in normalen Lebensmitteln drinnen ist, wie in Getreide und Hülsenfrüchten.
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