Verunsicherte DFB-Kicker brauchen "gewohnte Realität"
Die schlimmen Tage für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft haben Spuren hinterlassen. Vor allem Teampsychologe Hans-Dieter Hermann ist beim amtierenden Weltmeister auf dem Weg zur EM in Frankreich (10. Juni bis 10. Juli 2016) gefordert. Die akute Aufarbeitung der Terrorangst von Paris und Hannover muss aber nun erst einmal in den Vereinen passieren.
Nach dem zweiten Terror-Schock innerhalb von vier Tagen wollten die total verunsicherten deutschen Teamkicker nur noch eines: So schnell wie möglich nach Hause. Die traumatischen Ereignisse nach der aus Sicherheitsgründen erzwungenen Länderspielabsage von Hannover nur gut 100 Stunden nach den direkt miterlebten Anschlägen vor dem EM-Finalstadion in St. Denis bei Paris müssen die Nationalspieler jetzt im Liga-Alltag versuchen zu bewältigen. Ein Trio aus Dortmund ist schon am Freitagabend beim Gastspiel in Hamburg im Einsatz.
Zu Hause
Nach der Absage der Niederlande-Partie wegen der Terror-Angst in Hannover war für den Deutschen Fußball-Bund ( DFB) das Wichtigste: "Alle Spieler sind - größtenteils bereits gestern Abend - abgereist und wohlbehalten zu Hause angekommen", wie der DFB am Mittwoch mitteilte.
Die Aufarbeitung der dramatischen Tage in Hannover und vor allem im vom Terror heimgesuchten EM-Gastgeberland Frankreich wird auch bei den deutschen Teamspielern Zeit brauchen. Bis man sich zu den nächsten Länderspiel-Klassikern gegen England am 26. März in Berlin und drei Tage später in München gegen Italien wiedertrifft, vergehen gut vier Monate - viel Zeit zur Aufarbeitung.
"Blick nach vorne richten"
Schon nach der Horrornacht von St. Denis hatte Löw das Gespräch mit dem DFB-Teampsychologen Hermann gesucht, um die nötigen Maßnahmen zu besprechen. "Natürlich geht es weiter und natürlich muss man den Blick nach vorne richten. Die Frage ist, wie schnell man das schafft. Das ist natürlich unterschiedlich", hatte Löw vor den dann wieder aufwühlenden Stunden der Terrorangst in Hannover gesagt.
Der Gedanke an die EM-Titelmission in Frankreich im kommenden Sommer, die genau an dem Ort erfüllt werden soll, wo der Schrecken im Stade de France begann, ist erst einmal in den Hintergrund getreten. Hermanns erster Rat war, möglichst schnell die "gewohnte Realität" wieder herzustellen.
"Müssen uns um die Spieler kümmern"
Das Nationalspieler-Trio seines Klubs, Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Matthias Ginter, muss in der Bundesliga als erstes wieder antreten, wenn nur drei Tage nach der überstürzten Abreise aus Hannover am Freitagabend das Gastspiel beim Hamburger SV unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen ansteht.
Gündogan hatte vor der Absage des Niederlande-Spiels einen intensiven Einblick in die Gefühlswelt der schwarz-rot-goldenen Fußball-Helden gegeben. Auch die Nationalspieler seien "keine Maschinen", sondern "Menschen mit Gefühlen. Auch wenn wir Profis sind, in dem, was wir machen, geht das nicht spurlos an einem vorbei."
Erstmals Absage wegen Terrorgefahr
Noch nie hatte ein deutsches Länderspiel wegen Terrorgefahr abgesagt werden müssen. Noch nie erfolgte die Absage am Spieltag, ganze 90 Minuten vor dem geplanten Anpfiff. Im April 1994 wurde ein Test gegen England gestrichen, da die Gäste wegen der Symbolkraft des Spieldatums am 20. April - dem Geburtstag von Adolf Hitler - Ausschreitungen von Hooligans im Spielort Berlin fürchteten. Vor drei Jahren wurde der Test gegen Chile in Köln vier Tage nach dem Suizid von Nationaltormann Robert Enke abgesagt.
Diesmal waren die Nationalspieler schon auf dem Weg ins Stadion, als die Sicherheitsbehörden wegen einer akuten Bedrohung im ganzen Raum Hannover und speziell in der Arena keine Alternative sahen, als die Partie abzusagen. Sofort drehte der Weltmeister-Bus um, nach einem Zwischenstopp auf einer Polizeistation ging es Richtung Teamhotel in Barsinghausen. "Dass unsere Mannschaft innerhalb von vier Tagen zweimal so ein tragisches Erlebnis miterleben muss, war in meiner Vorstellungskraft nicht möglich", sagte Rauball.
Dafür, dass die DFB-Auswahl in Frankreich oder Hannover das primäre Terrorziel gewesen sei, gebe es keine Erkenntnisse, betonte Rauball. Aber: "Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in allen Facetten eine andere Wendung genommen hat."
Ohne Analysen
Die im November übliche sportliche Jahresbilanz fällt diesmal aus. Dass es erstmals in einem Jahr ohne großes Turnier unter Löw drei Niederlagen gab und die EM-Qualifikation holprig zu Ende gebracht wurde: Alles komplett unerheblich. Das 0:2 in Frankreich wollte sich Löw gar nicht mehr unter analytischen Aspekten anschauen, angesichts der Bombendrohung am Spieltag im Teamhotel und den schweren Stunden nach der Partie.
Für Löw steht am 12. Dezember schon wieder ein Paris-Termin an: Bei der Auslosung der EM-Gruppen. In den Turnier-Modus will der 55-Jährige erst schalten, wenn im Mai 2016 die konkrete Vorbereitung mit dem Trainingslager in Ascona am Lago Maggiore beginnt. Wie die November-Schrecken dann verarbeitet sind, wird auch für den erhofften EM-Erfolg entscheidend sein.
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