ÖFB-Kapitän Baumgartlinger: "Die gebremste Euphorie tut gut"
Der 31-jährige Kapitän der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft und Legionär bei Leverkusen spricht über die Diskussionen um ein ideales Spielsystem und findet es gar nicht so schlecht, dass bei den Fans eine gesunde Skepsis herrscht.
KURIER: Wie sehr trübt die Niederlage in Lettland das allgemeine Bild der geschafften Qualifikation?
Julian Baumgartlinger: Natürlich war es enttäuschend, dort zu verlieren. Wir haben uns einiges vorgenommen, es ist jedoch für uns alle schwer, anzuerkennen, dass speziell Auswärtsspiele fast ausnahmslos herausfordernd sind. Aufgrund einer nahezu kompletten Rotation, die für Nationalteams noch schwieriger umzusetzen ist, konnten wir kaum auf Automatismen oder vertraute Abläufe zurückgreifen. Daher muss man den Abschluss der Qualifikation relativ betrachten.
Wie sieht der Status Quo der Nationalmannschaft – relativ betrachtet – aus?
Die Leistungen und Ergebnisse, die in diesem Kalenderjahr großteils erbracht wurden, sind sehr positiv. Ein verpatzter Start und der Ausrutscher in Lettland zeigen jedoch, wie schmal der Grat sein kann. Grundsätzlich ist die Entwicklung sehr gut, wenngleich wir noch nicht an unserem Leistungsmaximum angelangt sind.
Oft wird gefordert, das Team solle den Salzburg-Stil kopieren, zumal viele Spieler diese Ausbildung genossen haben. Kann man das 1:1 von einem Verein auf das Nationalteam umlegen?
Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Es ist leicht, etwas in den Raum zu werfen und zu fordern, dass neue Philosophien sofort umgesetzt werden sollten. Selbst eine Vereinsmannschaft braucht sehr lange, um eine Spielidee zur Gänze und vor allem auch erfolgreich umzusetzen. Da kann man erahnen wie komplex sich diese Aufgabe für eine Nationalmannschaft darstellt, die nicht tagtäglich gemeinsam auf dem Platz arbeitet.
Ist der Faktor Zeit so entscheidend, wenn die Spieler wissen, was gespielt werden soll?
Wenn der Red-Bull-Fußball das Nonplusultra ist, warum kopieren ihn dann nicht alle Vereine? Man könnte auch fordern: Spielt wie Frankreich, dann werdet ihr Weltmeister! Umgekehrt: Was ist denn der Red-Bull-Fußball? Leipzig spielt ja mittlerweile auch anders als Salzburg, schließlich werden unter Julian Nagelsmann mehrere Systeme praktiziert. In vielen Bewerben oder gewissen Spielsituationen orientieren sich Mannschaften auch gerne am Gegner, um variabel zu bleiben. Man kann aber sehr wohl Elemente dieser Prinzipien einfließen lassen, davon profitieren wir bereits.
Worauf wird es im Frühjahr ankommen, damit das Team bestens vorbereitet zur EURO fährt?
Die Kontinuität wird ein Hauptschlüssel sein. Dass wir fitte und gesunde Spieler haben, die noch dazu über einen Spielrhythmus verfügen. Das sind jedoch Dinge, die man schwer beeinflussen kann. Es wird wichtig sein, die Automatismen, die wir uns unter Franco Foda angeeignet haben, möglichst gut zu konservieren, um auf dieser Basis weitermachen zu können. Und drittens muss der absolute Wille, jedes Testspiel zu gewinnen, zwingend vorhanden sein.
Womit wir bei 2016 wären. Damals wurde nach schwachen Spielen gemeint, den Schalter werde man bei der EURO umlegen. Wir wissen nun alle, dass dies nicht geklappt hat.
Das stimmt. Wir hatten in manchen Spielen gute Phasen und uns vielleicht damit beruhigt. Am Ende des Tages zählt das Ergebnis, vor allem bei einem Turnier. Darauf müssen wir auch bei den Tests mehr achten. Ergebnisse, Leistungen und Kontinuität. Wenn ein Faktor nicht stimmt, müssen wir umgehend die Gründe analysieren und nicht bloß darauf vertrauen, dass es bei der Endrunde besser wird.
Wie interpretieren Sie die Rolle des Kapitäns?
Ich will die Rolle gar nicht überstrapazieren oder zu viel darüber reden. Die Aufgaben sind mehr geworden, die Verantwortung größer, beides gilt jedoch für alle Spieler. Der Kapitän kann nur in gewissem Maß Einfluss nehmen, schließlich ist er auf dem Feld auch nur ein Elftel des Teams. Mir ist wichtig, der Mannschaft zu helfen und sie notfalls auch zu schützen.
Das haben Sie getan in der Vergangenheit, als Sie sich auch gegenüber dem ÖFB kritisch geäußert haben. Welche Rahmenbedingungen brauchen Profis?
In erster Linie benötigen wir eine professionelle Infrastruktur. Für mich ist stets wichtig, einzuordnen, was für uns als Mannschaft oder in Verbindung mit Staff und Trainerteam unverzichtbar ist, um perfekte Bedingungen zu schaffen. Themen wie die Modernisierung des Happel-Stadions oder Leistungszentren für den Verband übersteigen meine Kompetenz, wenngleich es natürlich sehr wünschenswert wäre.
Österreich schwankt gerne zwischen hoch und tief: Was erwarten Sie von der EURO? Ist das Erreichen des Achtelfinales realistisch?
Die gebremste Euphorie tut uns diesbezüglich vielleicht sogar ganz gut, auch die gesunde Skepsis, die die österreichischen Fußballfans nach wie vor uns gegenüber haben. Ich kann es auch verstehen, da ja durchaus eine gewisse Erwartungshaltung vorherrscht. Immerhin haben wir bewiesen, dass wir uns wieder für eine Endrunde qualifizieren können. Jetzt haben wir die Chance, zu zeigen, dass wir besser sind als beim letzten Turnier. Das sollte das Ziel sein.
Viele Kollegen Ihrer Generation sind schon zurückgetreten. Fühlen Sie sich jetzt wie „Julian allein im Team“? Wie geht es Ihnen mit einer neuen Generation?
Nein, ich fühle mich nicht alleine im Team, ganz im Gegenteil. Abgesehen davon ist es Teil des Jobs, zu wissen, dass man nie 15 Jahre mit den besten Freunden zusammenspielen wird. Das muss auch nicht so sein. Es ist für mich immer noch absolut schön, zum Team zu fahren, es gibt im Team und ums Team langjährige Weggefährten und Freunde, die mir wichtig sind. Natürlich sind viele Spieler aus einer jüngeren Generation dabei, trotzdem finden wir jede Menge Themen, die uns gegenseitig bereichern. Das hält sogar einen 31-Jährigen jung.
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