Lehren aus der EM: Wendige Außenverteidiger und drei Angreifer

Lehren aus der EM: Wendige Außenverteidiger und drei Angreifer
Spieler wie David Alaba gehörten zu den gefragten Typen dieser Europameisterschaft, meint KURIER-Kolumnist Willi Ruttensteiner

Eine Kolumne von Willi Ruttensteiner

Die Studiengruppe der UEFA  hat vor dem Finale   die Ergebnisse und Statistiken reflektiert und ausgewertet. Wie prophezeit, haben die Trainer ab dem Achtelfinale viel höheres Risiko genommen – die Trefferquote hat sich nach 2,6 Toren in der Gruppenphase auf 3,6 im Viertelfinale und drei im Halbfinale gesteigert. 

34 Prozent aller Tore fielen nach Flanken und Eckbällen. Alle Topteams verfügen über offensiv orientierte Außenverteidiger und Flügelspieler. Spinazzola und Alaba wurden dabei als die Prototypen dieses Spielertyps genannt, weiter vorne agierten Chiesa, Insigne, Mertens, Braithwaite, Thorgan Hazard oder Mæhle. Aber nur 20 Prozent der Treffer  wurden per Kopf erzielt. Überraschend finde ich, dass in 50 Spielen nur ein Tor aus einem direkten Freistoß gefallen ist. 

Der Trend geht eindeutig in Richtung drei Angreifer, wie bei den Spaniern mit Torres, Olmo und Oyarzabal oder den Engländern mit Saka, Kane und Sterling. Mit dem Anforderungsprofil: Speed is King. Ohne hohes Tempo sind die oft perfekt verschiebenden Ketten nicht mehr zu überwinden.

Für Italiens Trainerlegende Fabio Capello stand beim UEFA-Meeting fest: Diese EM geht als das Turnier der kleinen, wendigen Dribbler in die Geschichte ein. Elf Eigentore erscheinen als eine fast irreale Zahl, aber es gibt Erklärungen. Durch das hohe Tempo und blitzschnelle Abschlüsse gab es überraschende Richtungswechsel des Balles, einigen Torhütern unterliefen krasse Fehler, der Druck war für überforderte Verteidiger zu groß. 

Auf der falschen Spur

Didier Deschamps und Joachim Löw haben einen Weltmeistertitel geholt, sind aber dennoch mit ihren taktischen Überlegungen auf die falsche Spur abgebogen. Frankreichs Umstellung auf drei Verteidiger ist gegen die Schweiz schiefgegangen. Gareth Southgate hat gegen Deutschland von der Vierer- zur Dreierkette gewechselt, ein  smarter Schachzug, auf den Löw keine Antwort fand. Extrem ausgefeilt waren auch die Varianten von Kasper Hjulmand, der im Achtel- und Viertelfinale die Waliser und Tschechen entzauberte: Der dänische Teamchef stellte plötzlich auf eine Viererkette um, zog Christensen ins Mittelfeld vor und schuf damit die entscheidende Überzahl.

Es bleibt trotzdem festzuhalten: Wer gewinnt, hat alles richtig gemacht, wer verliert, steht im Fokus der Kritik. Beeindruckt war ich vom Schweizer Petrovic, der an der Seitenlinie sehr kontrolliert und fehlerlos agierte und dessen Entscheidungen objektiv nachvollziehbar waren. 

Last, but not least, möchte ich noch drei Spieler nennen, die für mich die EM mitgeprägt haben: Pedri hat mit 18 alle Matches auf konstant hohem Level durchgespielt,  91 Prozent seiner Pässe kamen an. In zwei Wochen soll der beste Rookie  bei Olympia glänzen. Da sehe ich bei einem so jungen Profi die Gefahr der Überforderung. Italiens 22-jährigem Torhüter  Donnarumma wird von seinen abgezockten Abwehr-Twins Bonucci/Chiellini bereits die Schlüsselfunktion des Spielaufbaus von hinten anvertraut. Und  wie virtuos Jorginho die Balance im Mittelfeld bewahrt, wird klar, warum dieser Spielertyp auf dem Transfermarkt gefragt ist wie noch nie.

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Willi Ruttensteiner war von 2001 bis 2017 Sportdirektor des ÖFB und danach von Israel. Der 58-Jährige trainiert das Nationalteam Israels und ist ein Gegner der Österreicher in der anstehenden WM-Qualifikation.  

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