Die Geschichte der Wiener Stadtliga: 75 Jahre mit der Tramway zum Match
Der Landstraßer AC spielte in den 1960ern in der Erdbergstraße
„Ah, schau, unsere Historiker gemeinsam an einem Tisch.“ Stefan Singer, Präsident der Sportvereinigung Rasenspieler Donaufeld, weiß halt, was sich gehört. Vor dem Heimspiel seiner Regionalligisten begrüßt Singer Peter Biwald, Markus Oswald sowie Karl Vranovitz in der Sportkantine in der Fultonstraße mit der gebührenden Wertschätzung.
Bei einem kalten Getränk legen die Drei dem KURIER ihre neueste Errungenschaft vor. Im Buch „Die Wiener Tramway-Liga“ rollen der Betriebswirt Biwald und der Krankenpfleger Vranovitz die 75-jährige Geschichte der Wiener Liga minutiös auf.
Die hiesigen Rasenspieler, rechnen sie vor, konnten in der höchsten Amateurliga von Wien sechs Mal den Titel holen und dürfen sich somit „Rekordmeister“ nennen.
Noch wärmen auf dem Donaufelder Rasen die Mannschaften auf. Daher kann Karl Vranovitz in Ruhe den Titel des Buchs erklären: „In der Stadtliga kann man heute wie damals zu allen Spielen mit der Tramway fahren.“
Peter Biwald, Markus Oswald, Karl Vranovitz
Patron: der „rote Heinzi“
Im Mai 1975 fuhr der damals neunjährige Karli mit seinem Onkel und mit dem A-Wagen um den Ring und von dort weiter zum Elektraplatz im zweiten Bezirk. Dort spielten die „Elektriker“, Werksteam des städtischen E-Werks, gegen den Hütteldorfer AC um den Meistertitel.
Für Karl Vranovitz war dieses Spiel ein Erweckungserlebnis: „Kurz vor Ende musste das Spiel abgebrochen werden, weil der Tormann der Hütteldorfer dem Schiri eine aufgelegt hat.“
Die schallende Watsche hielt den Buam nicht ab, selbst die meist undankbare Funktion des Unparteiischen auszuüben. Von 1983 bis 1999 pfiff er in allen Ligen, auf allen Fußballplätzen Wiens. Allerdings blieb ihm wahrscheinlich auch nichts anderes übrig: „Ein sehr guter Bekannter meiner Mutter war Heinz Fahnler.“ Der war viele Jahre lang Chefredakteur der Wiener Zeitung und landesweit bekannter Pfeifenmann. Weil die roten Karten bei ihm locker saßen, nannte man ihn auch den „roten Heinzi“.
Seine Reisen zu all den Vereinen und Fußballplätzen in Wien helfen Karl Vranovitz heute, diese spezielle Wien-Chronik festzuhalten. Intern wird er daher auch ehrfürchtig „das Lexikon“ genannt.
Markus Oswald führt die dreiköpfige Historiker-Kommission zur Tribüne und dort in den Block der Donaufelder „Ultras“. Auch die sind einzigartig in Wien: Im durchschnittlichen Alter der geneigten KURIER-Leserschaft benötigt man keinen Alkohol für die Choreografie.
Bibliothek
Weitere Bücher über die Amateurvereine in den Bezirken sind im Werden. Mehr auf Facebook: „Wiener Fußball G’schichten“
Tour zum Thema
Wien-Stadtführer Marko Iljic, Autor Karl Vranovitz und KURIER-Redakteur Uwe Mauch führen am Samstag, 26. 4., zu den historischen Fußballplätzen in Floridsdorf (u. a. Donaufelder, FAC- und Landhaus-Platz)
Tourdaten
Start: 11 Uhr am Donaufelder Platz; Ende: 16 Uhr am „Nord Wien-Platz“. Dort spielt 1210 Wien gegen SV Aspern. Die ersten zwanzig, die mailen und 22 Euro zahlen, sind fix angemeldet: office@iljic.wien
„Gemma, Donauföööd!“
Statt Bier gibt es Bananen, Mandarinen und Mineralwasser für alle – acht. Statt Bengalen wehen rot-schwarz-grüne Flaggen, ertönen die Tröten und ein oft einsames „Gemma, Donauföööd!“.
Der „Ossi“ wird hier als Vereinshistoriker begrüßt. In seiner Jugend hat er bei den Donaufeldern im Tor gespielt. Heute wohnt er im Süden von Wien. Die Heimspiele seiner Jugendliebe lässt er sich aber weiterhin nicht entgehen: „Sie sind für mich auch ein Heimkommen.“
Während der Pandemie gab es kein Heimkommen, weil alle schon daheim waren. In dieser Un-Zeit hat der emsige Sammler von Fußball-Anstecknadeln die Facebook-Gruppe „Wiener Fußball G’schichten“ gegründet. Mehr aus einer Laune heraus, nicht ahnend, welchen Sturm er mit der Plattform lostritt.
3.319 Menschen folgen dem gelernten Gärtner heute. Und setzen aufgrund der veröffentlichten Mannschaftsfotos solche Posts ab: „Heast, di kenn i. Gegen di hab i vor vierzig Jahren gspielt.“
Bleibt am Ende noch der baumlange Peter Biwald. Er ist der Statistiker der Truppe. Kein Tag vergeht, an dem er nicht auf Facebook historische Tabellen der unteren Ligen in Erinnerung ruft. Seit seinem zehnten Lebensjahr sammelt der in Kaisermühlen Sozialisierte Fußball-Tabellen aus ganz Europa. Fragt man ihn etwa, wer im Jahr 1954 Meister in Albanien wurde, antwortet er nach nur fünf Minuten: „Partizani Tirana.“
Der andere „Rekordmeister“: Sechs Mal gewannen die Donaufelder die Wiener Liga
Mit dem 26er heim?
Warum ihn die Geschichte des Wiener Amateurfußballs heute fasziniert, erklärt der Akademiker so: „Es ist wie in der allgemeinen Geschichtsschreibung. Die Geschichte der Oberen ist längst erzählt. Wir arbeiten die Geschichte von unten auf. Und da zeigt sich, dass der Fußball in Wien lange die Massen bewegt hat, sowohl die Aktiven als auch die Zuschauer. Der Stellenwert des Wiener Fußballs ist so vielfältig, dass er sich unseren Aufwand verdient hat.“ Die soziale Integrationskraft des Sports werde in Wien weiterhin unterschätzt, weiß Biwald. Faktum ist allerdings auch, dass die Zahl der einst stolzen 1.000 Vereine bald auf unter 100 fallen wird.
Auf die Frage, ob denn der Wiener Fußball-Verband die Aktivitäten der absolut ehrenamtlich tätigen Fußballforscher in irgendeiner Form honoriert, antwortet Sir Peter Biwald genial Wienerisch: „Er hat uns motiviert, alles alleine zu machen.“
Die Rasenspieler laufen heute gegen einen Tabellennachbarn in ein Debakel. Was den Ultras weh tut, was sie aber zu keinem Platzsturm animiert. Wer will noch eine Mandarine? Und wer fährt mit mir mit dem 26er heim?
Peter Biwald/Karl Vranovitz
„Die Wiener Tramway-Liga.
Eine Geschichte der Wiener Stadt-Liga 1949–2024.
echo media Verlag. 330 Seiten, mit unzähligen Statistiken und historischen Fotos. 39 Euro
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