Vier Jahre vor Eriksen: Als das Zillertal in Schockstarre verfiel
Er war ab der Unter 15 bis zur U 21 in alle niederländischen Auswahlen einberufen worden. Er galt als ungewöhnlich kreativer Mittelfeldspieler. Er hätte auch eine Chance im A-Team bekommen. Abdelhak Nouri wäre vielleicht im EM-Spiel gegen Österreich in die Amsterdam-Arena eingelaufen. Hätte, wäre ...
Seit einem heißen Tiroler Sommertag, seit dem 8. Juli 2017, sind derlei Gedankenspiele brutal unrealistisch.
Wie der dänische Teamkapitän und Inter-Mailand-Legionär Christian Eriksen war Abdelhak Nouri auf dem Feld ohne Feindwirkung zusammengesackt. Wie bei Eriksen hatte das Herz gestreikt.
Wie soeben beim EM-Spiel Dänemark – Finnland wurden Fußballfans auch damals vor dem Bildschirm Live-Zeugen der Tragödie. Nur sahen 2017 nicht annähernd so viele zu, weil es sich um kein Ländermatch, sondern bloß um ein Testspiel zwischen Ajax Amsterdam und Werder Bremen handelte, die ihre Camps in Österreich aufgeschlagen hatten.
Die Erstversorgung dürfte, nachdem auf dem kleinen Zillertaler Fußballplatz Kirtagstimmung der Schockstarre gewichen war, nicht optimal funktioniert haben. Obwohl die Rettung vorschriftsmäßig vor Ort gewesen war.
Nach Vorwürfen von Abdelhak Nouris Familie wurde ein Gutachten erstellt, das den Ajax-Geschäftsführer und früheren Weltklasse-Tormann Edwin van der Saar veranlasste, sich mit monatelanger Verspätung im Namen des Klubs zu entschuldigen: „Die Behandlung von Nouri auf dem Feld ist unzureichend gewesen.“
Dass der damals 20-Jährige für Hochleistungssport nicht geeignet gewesen, dass eine Herzschwäche unterschätzt oder nicht erkannt worden sei – diesen Verdacht schloss eine Untersuchungskommission aus. Zumal das Ausnahmetalent in Amsterdam regelmäßig am sportmedizinischen Prüfstand gestanden war.
Ein Restrisiko ist wohl nicht einmal bei Topathleten auszuschließen. Auch Eriksen wurde sowohl beim dänischen Team als auch bei seinem italienischen Dienstgeber Inter in Mailand, wo man als besonders gewissenhaft gilt, Belastungstests unterzogen. Wie sonst so oft kein junger Normalbürger.
Christian Eriksen, 29, wird – sofern die erfreulichen Nachrichten aus der Kopenhagener Klinik nicht geschönt sind – vielleicht sogar noch im Lauf des Turniers seinen Kollegen im Stadion die Daumen drücken können. Über den monatelang im Koma gelegenen Abdelhak Nouri hingegen sagte dessen Bruder kürzlich im TV: „Wir versuchen, mit ihm im Wohnzimmer Fußball zu schauen. An seinen guten Tagen gibt es eine Form von Kommunikation. Zum Beispiel eine Bestätigung mit den Augenbrauen oder ein Lächeln.“
Vielleicht ist morgen so ein guter Tag für Nouri. Dann würde man ihn bei Niederlande – Österreich in Bildschirmnähe platzieren.
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