Kopf auf den Boden: Warum Breaking nicht "Breakdance" heißt
Der Kopf liegt seitlich auf dem Boden, die beiden Handflächen auch. Das geistige Auge sucht noch einmal die Erinnerung an den Wischmob, der zuvor über den Dancefloor geschoben wurde.
Du bist mitten in einem Beginner-Workshop beim Breaking-Event und übst den „Baby-Freeze“, eine Figur, bei der Hände und Kopf den Körper halten, während die Beine abgewinkelt seitlich in der Luft sind.
Du spürst deinen Körper schwitzen, dabei dauert das Tutorial erst 28 Minuten. Aber du kannst dir keine Blöße geben. Immerhin wird der Workshop hier im Rahmen des Red Bull BC One World Final in Tokio von zwei Koryphäen des Breaking geleitet. Da ist die Japanerin Ami Yuasa, zweifache Siegerin des World Finals und erste und bisher einzige Olympiasiegerin im Breaking. Und da ist der Kanadier Philip Kim, besser bekannt als Phil Wizard, ebenfalls Olympiasieger und Weltmeister von 2022.
KURIER-Redakteurin Karoline Krause-Sandner mit den Olympiasiegern Ami Yuasa und Philip Kim
Was ist Breaking?
Breaking (von Szenefremden oft „Breakdance“ genannt, was jedoch von den Athleten hier betont abgelehnt wird) hat in der Hip-Hop-Szene New Yorks der 90er-Jahre seinen Ursprung. Es besteht aus vier Hauptteilen:
- Toprock (Tanz im Stehen),
- Footwork (Tanz am Boden),
- Power Moves (akrobatische Showelemente) und
- Freezes („eingefrorene“ Bewegungen wie ein Handstand).
Die Tänzer und Tänzerinnen treten in Runden gegeneinander an. Je nach Modus meist im 1 gegen 1, manchmal auch 2 gegen 2 oder in 4-er-Gruppen jeder gegen jeden. Die Teilnehmer haben rund 30–60 Sekunden pro Runde, um ihre Moves zu präsentieren.
Die Jury bewertet unter anderem nach
- Ausführung,
- Kreativität,
- Rhythmus,
- Schwierigkeit und
- Ausdruck.
Nicht „Breakdance“
Breaking entstand in den 70er-Jahren in New York im Schoß der Hip-Hop-Kultur. Es bezog sich auf die Bewegungen der Tänzer während des „Breaks“ in einem Song, oft mit rhythmischen Drum-Solos.
Der Begriff „Breakdance“ kommt von außen und ist in der Szene ein No-Go. Dennoch bezeichnen sich die Teilnehmer als „Tänzer“.
Olympia
Der Sport schaffte es 2024 ins Olympia-Programm von Paris, was aber in der Breaking-Szene nicht alle guthießen.
Red Bull BC One
Das Event ist eines der prestigereichsten im Breaking. Die weltbesten Tänzerinnen und Tänzer treffen im World Final in Tokio (heute, 9 Uhr MEZ/ live auf YouTube) aufeinander.
Social Media als Motor
Von der Digitalisierung vorangetrieben erlebt die Szene gerade neue Höhen. Social Media hat den B-Boys und B-Girls im vergangenen Jahrzehnt zu neuer Popularität verholfen. Raus aus einem meist sehr lokalen Kreis – hinein in eine globale Szene. Breitenwirksam war zudem die Aufnahme von Breaking ins olympische Programm von Paris 2024. Bei den nächsten Sommerspielen von L. A. 2028 musste es allerdings wieder anderen Sportarten weichen.
Außerdem war die sehr unabhängig orientierte junge Szene ob des Olympia-Events gespalten. Nicht jede und jeder fühlte sich repräsentiert. „Unsere Werte kamen dort zu kurz“, sagt der Oberösterreicher Max Rosenberger, in der Szene bekannt als B-Boy Marox.
B-Boy Marox bei der Qualifikationsrunde beim Red Bull BC One World Final in Tokio
Sport oder Kunst?
„Kunst und Sport. Für mich ist es beides“, sagt B-Girl Jana Thaler aus Tirol. Sie ist als Gewinnerin der Österreich-Ausscheidung in Tokio mit dabei, ebenso wie Marox. „Wir sind Sportler und als Tänzer kämpfen wir dafür, dass wir dafür anerkannt werden“, sagt Jana, die auch auf die künstlerische Komponente hinweist. Nur durch sie könne sich eine Freestyle-Sportart weiterentwickeln. Nicht alles sei eben messbar.
Den beiden gefällt, dass sie sich in der Szene wohlfühlen, selbst ihren eigenen Style kreieren können und dass Breaking für alle zugänglich ist – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht oder sozialem Status. „Das ist ein wichtiger Wert dieser Subkultur. Es ist eine Kultur, die aus der Armut und weniger privilegierten Verhältnissen entstanden ist als die, aus der wir kommen“, erinnert Marox an die afroamerikanischen Ursprünge. Einige der erwähnten Punkte seien bei Olympia zu kurz gekommen.
Peanuts für die Athleten
Zurück beim Workshop. Du schwitzt weiter, Hände und Haare sind etwas staubig und du spürst deine Muskeln und Gelenke. Du lernst die Grundlagen des Toprock, den Duckwalk, Corkscrew, den Coffeegrinder, den du schon als Kind gemacht hast, und eben den Baby-Freeze – für die Athleten beim World Final sind das Peanuts, du aber gehst ans Limit.
Am Ende kommt der Cypher, ein Kreis, den alle anderen am Dancefloor rund um einen Tänzer bilden. „Jeder muss einmal rein“, sagt Phil Wizard. Keine Chance zu kneifen.
Die Athleten bei den Red Bull BC One World Finals, die am Sonntag (9 Uhr MEZ, hier geht's zum Livestream) in der Sumo Arena Ryogoku Kokugikan über die Bühne gehen, sind längst Tausende Schritte weiter. Die Show, die schon zum 22. Mal stattfindet, ist eines der wichtigsten internationalen Events im Breaking. „Das ist unser Super Bowl“, sagt Phil Wizard.
Die Reise nach Tokio kam auf Einladung von Red Bull zustande.
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