Wer bezahlt die Krisenfolgen?
KURIER: Ein hartes Pandemie-Jahr liegt hinter uns, der Staat hat viele Milliarden an Hilfen ausgezahlt. Wurde an den richtigen Stellen unterstützt?
Schellhorn: Jein. Im ersten Lockdown sind die Hilfszahlungen zu langsam geflossen, im zweiten Lockdown ging es sehr schnell, was auf Kosten der Treffsicherheit ging. Ein Fehler war, dass die Kurzarbeit beim Umsatzersatz nicht angerechnet wurde. Aber die Entscheidung der Regierung, stark mit Geldflüssen zu operieren, war richtig. Natürlich wurden auch Betriebe gerettet, die schon vor der Krise nicht wirklich überlebensfähig waren. Aber das musste man in Kauf nehmen. Entscheidend war, so viele gesunde Betriebe wie möglich über den harten Lockdown zu bringen.
Blaha: Es wurde nicht immer an den richtigen Stellen unterstützt. Am meisten leiden in dieser Krise arbeitslose Menschen, Personen in Kurzarbeit, geringfügig Beschäftigte, kleine Selbstständige. Einige Dinge wurden gut gemacht, etwa die höhere Notstandshilfe oder die Rettung von 100.000 Jobs durch die Kurzarbeit. Mir hat der soziale Aspekt trotzdem oftmals gefehlt.
Hätte man das Geld anders aufteilen sollen? Weniger für Unternehmen, mehr für Arbeitslose?
Blaha: Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes ganz zu Beginn dieser Pandemie wäre dringend notwendig gewesen. Hier hat die Regierung zögerlich reagiert, während sie bei den Unternehmen großzügig war und Geld springen hat lassen, bevor die tatsächliche Notwendigkeit geprüft worden ist. Den Umsatzersatz haben zum Teil Branchen erhalten, die gut durch die Pandemie gekommen sind.
Schellhorn: Wir sollten nicht übersehen, dass Österreich eines der großzügigsten Kurzarbeitsmodelle in ganz Europa hat. Damit wurde die Kaufkraft der Arbeitnehmer entscheidend gestützt. Der österreichische Sozialstaat hat in dieser Krise relativ gut interveniert, ich würde ihm ein deutlich besseres Zeugnis ausstellen, als Frau Blaha das tut.
Sie beide loben die Kurzarbeit, dennoch gibt es eine Rekord-Arbeitslosigkeit in Österreich. Warum?
Blaha: Die Kurzarbeit war ein wirksames Mittel gegen Arbeitslosigkeit. Hätten wir sie nicht so umfassend eingesetzt, dann gäbe es jetzt wohl mindestens 200.000 Arbeitslose mehr. Aber auch das Arbeitslosengeld zu erhöhen, würde volkswirtschaftlich viel Sinn ergeben. Ein höheres Arbeitslosengeld, um die Einkommen zu stabilisieren, hilft direkt auch der Wirtschaft. Aber die Kurzarbeit schafft keine neuen Jobs. Und gerade die werden uns nach der Krise fehlen, denn der Privatsektor wird so schnell nicht wieder Arbeitsplätze schaffen können. Da muss der Staat einspringen.
Schellhorn: Wenn es in Österreich an etwas nicht mangelt, dann sind es staatliche Eingriffe. Ich glaube auch nicht, dass der Staat die Ausfälle aus der Privatwirtschaft ersetzen kann und soll. Wir können nicht alle Arbeitslosen beim Staat beschäftigen. Entscheidend ist, dass es wieder zu mehr wirtschaftlicher Dynamik kommt. Der Fokus sollte derzeit eher darauf liegen, dass Unternehmen wieder rasch aufsperren können.
Wo, Frau Blaha, könnte der Staat Ihrer Meinung Jobs schaffen?
Blaha: Es gibt zahlreiche Branchen, in denen Arbeitnehmer fehlen. Wir brauchen zum Beispiel Pflegepersonal. Aber ich gebe Herrn Schellhorn recht: Es geht auch darum, dass die Wirtschaft wieder in die Gänge kommt. Dass wir hier staatlicherseits unterstützen, das gebietet schon der volkswirtschaftliche Hausverstand.
Schellhorn: Der volkswirtschaftliche Hausverstand gebietet, einen Blick zurückzuwerfen. Um zu sehen, dass die Arbeitslosigkeit schon vor der Krise sehr hoch war. Seit Jahren gibt es ein strukturelles Problem: Viele Unternehmer finden für offene Stellen keine Arbeitnehmer, viele Arbeitslose keine offenen Stellen. Zudem gibt es enorme regionale Unterschiede. Es ist nicht argumentierbar, warum junge Arbeitslose ohne Verpflichtungen im Osten des Landes Arbeitslosenhilfe beziehen, während in drei Bundesländern weiter Jobs frei sind. Gerade Jüngeren ist mehr Mobilität zumutbar.
Blaha: Also zusätzlichen Schikanen in Bezug auf die Arbeitslosenversicherung? Das schafft keine neuen Stellen.
Hätte man Arbeitsplätze erhalten können, wenn man schon früher die Hilfszahlungen für Unternehmen an eine Arbeitsplatzgarantie geknüpft hätte?
Schellhorn: Ich glaube nicht, dass sehr viele Unternehmen gerne Arbeitnehmer auf die Straße gesetzt haben. Aber wenn große Teile der Umsätze wegbrechen, blieb vielen keine andere Wahl. Hilfszahlungen und Kurzarbeit sind ja nur dann sinnvoll, wenn das Unternehmen die Aussicht hat, in drei bis sechs Monaten wieder ins Geschäft zu kommen. Sonst ist es verlorenes Geld.
Blaha: Solange Corona grassiert und die Regierung regelmäßig Lockdowns verhängt, kann man den Unternehmen nicht vorwerfen, die Kurzarbeit zu lange zu nutzen. Aber man hätte die milliardenschweren Hilfen von Anfang an an eine dauerhafte Arbeitsplatzgarantie knüpfen sollen. Außerdem wurden die Hilfen oft mit der Gießkanne ausgeschüttet.
Sie sagen, „mit der Gießkanne ausgeschüttet“, „Koste es, was es wolle“, war das Regierungsmotto. Wer wird die Schulden zukünftig zurückzahlen?
Blaha: Grundsätzlich könnten wir die Schulden einfach stehen lassen. Wenn wir die europäischen Schuldenregeln dauerhaft aussetzen, müsste niemand zurückzahlen. Soll aber die Staatsschuldenquote wieder sinken, weil es der Finanzminister so will, dann ist klar, dass es die Arbeitnehmer sind, die die aufgenommenen Anleihen später abbezahlen. Die Abgaben auf Arbeitsleistung sind seit Jahren zu hoch, weil der Republik staatliche Einnahmen von Vermögenden fehlen. Auch wohlhabende Unternehmen könnten mehr beitragen als bisher. Es wäre hoch an der Zeit, die Körperschaftssteuer in Österreich wieder anzuheben.
Schellhorn: Zahlen tun das natürlich wir alle, vor allem aber die nachkommenden Generationen. Sie werden auch keine Freude haben, wenn die Schulden einfach stehen gelassen werden. Niemand kann sagen, wie hoch die Zinsen für die staatlichen Schuldenberge in 10 oder 20 Jahren sein werden. Eine wichtige Erfahrung aus dieser Krise ist auch: Länder wie Schweden oder Dänemark haben bei ähnlich hoher Steuer- und Abgabenbelastung halb so hohe Staatsschulden wie Österreich. Weil sie die Budgetregeln eingehalten haben. Dort wird auch nicht über Vermögenssteuern diskutiert, weil man sie nicht braucht. Wir müssen es in Zukunft ganz einfach schaffen, in wirtschaftlich guten Jahren verlässlich Budget-Überschüsse zu erwirtschaften, um von den hohen Schuldenständen runterzukommen.
Diskutiert wird auch oft, ob zusätzliche Steuern für „Krisengewinner“ ein Weg aus den Schulden wären.
Schellhorn: Die wenigen Unternehmen, die im Vorjahr hohe Gewinne eingefahren haben, zahlen auch kräftig Steuern auf ihre Gewinne. Und die ganz großen Gewinner sind Amazon, Microsoft, Netflix und Google. Das sind nur leider US-Unternehmen, die dem dortigen Steuerrecht unterliegen und nicht dem österreichischen.
Blaha: Wir haben auf europäischer Ebene dringend Hausaufgaben zu erledigen, um genau diese Konzerne so zu besteuern, dass sie einen fairen Anteil an ihren Gewinnen hier lassen. Österreich hat sich aber nicht gerade als Vorreiter erwiesen, um das durchzusetzen. Bleibt unser Steuersystem, wie es ist, dann bezahlen die Arbeitnehmer, die Konsumenten und die kleinen Selbstständigen fast die gesamten Krisenkosten. Und es ist eben nicht nur Amazon, das profitiert hat, sondern es ist auch jeder Möbel-Riese in diesem Land oder Novomatic. So zu tun, als hätten wir gar kein Unternehmen, das gut durch diese Krise kam und tatsächlich auch Gewinne lukriert hat in diesem Jahr, stimmt nicht.
Sprechen wir noch über die Umwelt. Ist es trotz Krise Zeit für neue Investitionen in den Klimaschutz?
Schellhorn: Investitionen in den Klimaschutz sind natürlich nötig. Dabei sollten wir aber auf eine bewährte Arbeitsteilung vertrauen. Der Staat gibt Emissionsziele vor, lässt den Weg dorthin aber offen. Den sollten innovative Unternehmen finden, weil heute auch kein Staat weiß, welche Technologien sich durchsetzen werden.
Wäre ein System wie in Deutschland denkbar, wo man über den Verkauf von Emissionszertifikaten Geld für E-Energie erwirtschaftet?
Schellhorn: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass CO2 einen Preis bekommt. Es ist aber nicht so, dass wir keine CO2-Steuern hätten. Sie heißen nur anders. Österreich nimmt jährlich zehn Milliarden damit ein. Aber in Zukunft sollte Österreich weniger auf Steuern setzten, sondern wie Deutschland auf den Zertifikatehandel, der mit wenig Geld enorm hohe Einsparungen bringt.
Blaha: Bei der CO2-Steuer gibt es mehrere Herausforderungen. Die erste ist, dass die Steuer nicht nur die Haushalte zahlen müssten, sondern auch die Unternehmen. Die Regierung hat während Corona gezeigt, dass sie durchaus lobbyanfällig ist und es für manche Sonderregelungen gab. Das darf es bei einer CO2-Steuer nicht geben. Und mir geht es auch um die soziale Frage. Eine Möglichkeit wäre, mit einer Klima-Prämie zu arbeiten. Menschen mit kleinerem Einkommen müssen nämlich mehr davon für die Steuer aufwenden als jene, die viel verdienen. Eine Rückverteilung mittels Klimaprämie löst diese Ungleichverteilung großteils. Beim Thema CO2-Steuer wird es auf jeden Fall einen sozialen Ausgleichstopf geben müssen.
Zum Schluss: Wie zuversichtlich sind Sie, dass es zu einem baldigen Aufschwung kommen wird?
Blaha: Die beste Medizin ist die Impfung, sowohl für die Gesundheit als auch für die Wirtschaft. Das Chaos, das wir derzeit erleben, lässt mich besorgt zurück. Wenn der Konsum wieder einsetzt, wird es ein rasantes Aufholen geben. Noch entscheidender ist die Zeit ab 2022. Kommen wir auf den ursprünglichen Wachstumspfad zurück, können wir die Verluste, die wir jetzt erlebt haben, wieder wettmachen. Aber ohne ein kräftiges Konjunkturpaket des Staates wird das kaum möglich sein. Wie das auch ökologisch nachhaltig gelingen kann, darüber sollte sich die Bundesregierung jetzt schon Gedanken machen, auch weil uns die extrem hohe Arbeitslosigkeit sonst sehr lange begleiten wird.
Schellhorn: Entscheidend ist, dass der Staat endlich das Impfchaos in den Griff bekommt. Kann schnell geimpft werden, bin ich optimistisch. Im besten Fall treffen dann die aufgestaute Nachfrage und das angesparte Geld auf eine Wirtschaft, die dank Impfung wieder zur Normalität zurückgekehrt ist. Das würde einen Boom auslösen. Je stärker dieser ist, desto schwächer würde auch die zu erwartende Insolvenzwelle ausfallen. Alles steht und fällt mit einer raschen Impfung.
Die 37-jährige studierte Germanistin war von 2006 bis 2007 ÖH-Vorsitzende. Aus Protest gegen die Beibehaltung der Studiengebühren während der Großen Koalition trat sie 2007 aus der SPÖ aus.
2019 gründete Blaha das progressive Momentum Institut, das auch ein Online-Magazin herausgibt. Blaha sitzt im Universitätsrat der Uni Salzburg.
Der 51-Jährige leitet seit 2013 die wirtschaftsliberale Denkfabrik Agenda Austria. Zuvor studierte er Handelswissenschaften und absolvierte eine Ausbildung zum Bankkaufmann.
Von 2004 bis 2013 leitete der gebürtige Salzburger das Wirtschaftsressort der Tageszeitung „Die Presse“, bei der er auch als Mitglied der Chefredaktion fungierte.
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