Dabei sind fast zwanzig Monate seit seinem Rückzug aus dem Bundeskanzleramt vergangen. Nicht viel später war er dann ganz aus der Politik ausgeschieden. Dennoch gilt der einst dominante Kanzler immer noch als Reizfigur – für seine Gegner und für seine Fans. Politikberater Thomas Hofer hat das immer so erklärt: „Dass Sebastian Kurz über das Wasser gehen kann, haben vor allem seine engsten Fans, aber auch seine härtesten Gegner geglaubt."
Aufregung im ORF
Diese Gruppen würden zwar schrumpfen, hätten aber nichts an ihrer Aggressivität verloren. Dass im Hintergrund – trotz ständiger Dementis – immer wieder mitschwingt, Kurz könnte auf die politische Bühne zurückkehren, lässt besonders die Gegner aufspringen, wenn der ÖVP-Mann einen öffentlichen Auftritt hat.
Das bekam am Wochenende in erster Linie die Im-Zentrum-Redaktion zu spüren. Ihr wurden alle möglichen Motive unterstellt, warum Sebastian Kurz eingeladen worden ist. „Warum macht das der ORF?“, war noch die harmloseste Frage auf den verschiedenen Plattformen. Rudi Fußi, Kommunikationsberater etwa für die Wiener Wirtschaftskammer, schrieb auf Twitter: „Ich schaue mir Kurz erst wieder im Fernsehen an, wenn er vor Gericht steht. Peinlich. ORF.“ Auch bei vielen anderen Kommentaren kümmerten sich die Verfasser nicht darum, dass sie die Gürtellinie unterschritten hatten.
Dass Sebastian Kurz Außenminister, Bundeskanzler und der einzige Österreicher war, der Chinas Staatschef Xi Jinping persönlich getroffen hatte, ließen die Gegner nicht gelten. Der aus dem freiheitlichen Eck kommende Kommunikationsberater Heimo Lepuschitz brachte das in einem Posting auf den Punkt: „Wie kann man nur den ehemaligen Außenminister, Bundeskanzler und EU-Ratsvorsitzenden zu Außenpolitik einladen. Wo soll der im Vergleich zur Twitterblase seine Expertise aus der Praxis herholen?“
Dieser Zynismus mag Moderatorin Claudia Reiterer, dem Gesicht der Sendung „im Zentrum“, ein Lächeln abgewinnen, die Proteste in der TV-Redaktion taten das wohl schon weniger. Da soll es in den eigenen Reihen einiges an Kritik gegeben haben, dass Sebastian Kurz eingeladen worden ist, wie man am Küniglberg hört. Das ZIB1-Team dürfte sich sogar geweigert haben, den Ex-Kanzler – wie üblich – als Gast der Sendung „Im Zentrum“ explizit anzukündigen.
Niedrige Einschaltquote
Was am Montag bei einer Nachbesprechung zu einer heftigen Auseinandersetzung geführt haben soll. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass Ex-Politiker zu solchen Diskussionen geholt werden, wie die jüngsten Auftritte von Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) oder Ex-Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) belegen. Dieses Argument scheint bei den Kurz-Gegnern im ORF aber wenig zu zählen.
Die Aufregung unter den Kurz-Gegnern und Kurz-Fans dürfte übrigens größer gewesen sein als das Interesse an der Diskussionssendung mit dem türkisen Ex-Bundeskanzler. Rund 324.000 Seher verfolgten den Auftritt zum Thema „China“ zu nächtlicher Stunde. Das liegt unter dem Durchschnitt, aber über jenen Zahlen, die normalerweise außenpolitische Themen vorweisen können.
Spannend war an diesem Sonntag die Abmoderation der Sendung. Da hat Claudia Reiterer die übliche Regie verlassen und abseits von China noch Fragen zur Zukunft von Sebastian Kurz gestellt. Über die Ermittlungen rund um die Hausdurchsuchung bei der Tageszeitung Heute, über die mögliche Anklage wegen einer Falschaussage beim U-Ausschuss und über eine Rückkehr in die hohe Politik.
Sebastian Kurz reagierte darauf sehr gefasst, als ob er das alles erwartet habe. Bei den Inseraten für Heute verwies er auf das Anzeigenvolumen der Stadt Wien, bei der Anklage hofft er, dass diese rasch komme, damit die Sache endlich vor Gericht geklärt werden könne. Und eine Rückkehr in die Politik schloss er aus, weil er sich in seiner neuen Rolle als Unternehmer sehr wohl fühle.
Diese Antworten wurden wohl auch in der ÖVP genau verfolgt. Auch da ist man sich ja nicht ganz sicher, ob es nicht doch eine Rückkehr gibt – trotz aller Dementis.
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