Verhofstadt: "Ich bin von Sebastian Kurz sehr enttäuscht“

EU-Liberalen-Chef sieht im Bundeskanzler "keinen proeuropäischen Politiker mehr“. ÖVP weist Kritik an Kurz zurück.

Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Fraktion im Europaparlament, übt in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin profil scharfe Kritik an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

"Kurz ist für mich kein proeuropäischer Politiker mehr", erklärt der Belgier. "Ich bin von Sebastian Kurz sehr enttäuscht. Er hat in der Migrationsfrage keine proeuropäische Haltung an den Tag gelegt, sondern sogar in jedem EU-Land noch Probleme geschürt. Als EU-Ratspräsident hätte er für eine gemeinsame Lösung eintreten müssen. Er hat das Gegenteil davon getan", sagte er laut einer Vorabmeldung von Samstag.

Verhofstadt fordert Reformen in der EU, etwa die Abschaffung einstimmiger Beschlüsse: "Wenn wir immer warten, bis alle zustimmen, dann verschwindet auch die EU." Bei Zukunftsthemen hinke die Union der globalen Entwicklung nach. Unter den 200 weltgrößten Digitalkonzernen stammten nur acht aus der EU. "Für Schokolade, Champagner und Autos haben wir den Binnenmarkt, für die boomenden Bereiche bei den Dienstleistungen im digitalen Bereich oder im Finanzsektor nicht", so der liberale Politiker und Brexit-Koordinator des Europaparlaments. "Wir brauchen eine Renaissance, eine Erneuerung und Reform der EU, so schnell wie möglich."

Reaktion der ÖVP

Der ÖVP-Pressedienst hat die Kritik Verhofstadts an Bundeskanzler Kurz am Samstag zurückgewiesen. Kurz habe "einen klar pro-europäischen Fokus und stellt diesen in seiner täglichen Arbeit unter Beweis. Man sollte auch als Liberaler und trotz Wahlkampf bei der Wahrheit bleiben", heißt es in einer Aussendung.

Ebenso sollte man sich als Fraktionschef nicht davor scheuen, in den eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen, moniert der ÖVP-Pressedienst am Samstag. Fraktionschef Verhofstadt dürfte mit seinem tschechischen Parteifreund Andrej Babis und dessen ANO 2011 sowie den in Rumänien mitregierenden Liberalen eigentlich alle Hände voll zu tun haben. "Wir freuen uns, wenn Verhofstadt die Enttäuschung über seine Parteikollegen kundtut, und sie aus seiner Fraktion ausschließt", wird in der Aussendung betont.

Zur Kritik des belgischen Liberalen, Kurz habe "in der Migrationsfrage keine proeuropäische Haltung an den Tag gelegt, sondern sogar in jedem EU-Land noch Probleme geschürt", schreibt der ÖVP-Pressedienst: "Die Aussagen sind inhaltlich falsch und entbehren jeglicher Grundlage. Sebastian Kurz hat sich immer für eine echte Lösung im Bereich der Migration eingesetzt und befürwortet die Rückkehr zu einem Europa ohne Grenze nach innen, wenn ein solider Außengrenzschutz gewährleistet ist."

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