Sozialversicherung: Zählt in Österreich jeder Patient gleich?

Sozialversicherung: Zählt in Österreich jeder Patient gleich?
Die versprochene Patienten-Milliarde ist laut Rechnungshof eine Schimäre. Was heißt das für die Leistungen an den Versicherten? Sind sie harmonisiert – oder nicht?

Es war ein „Leuchtturm-Projekt“; zumindest nannte es die türkis-blaue Koalition so: 2018 beschloss die Bundesregierung, dass man die 21 Sozialversicherungsträger zu fünf fusionieren und eine „Patienten-Milliarde“ lukrieren würde.

Gemeint war: Die Verschmelzung sollte so viele Synergien heben, dass damit eine Milliarde Euro frei wird, die man den Patienten zur Verfügung stellen könnte.

Der Rechnungshof hat jüngst festgehalten, dass es die Milliarde so nicht gibt.

Aber war die Kassen-Fusion deshalb grundsätzlich politischer Unfug? Woran hapert es – und was könnte man tun, damit die Patienten mehr vom System haben?

Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was genau wurde eigentlich harmonisiert?

Die türkis-blaue Regierung hat die Zahl der Versicherungen auf fünf reduziert, die wichtigste Fusion war die Verschmelzung der neun Gebietskrankenkassen zu einer: der ÖGK (siehe Grafik).

Sozialversicherung: Zählt in Österreich jeder Patient gleich?

Die Bemühung, dass Patienten in jedem Bundesland gleich gut behandelt werden, haben freilich schon 2017 begonnen.

„Bis dahin war es Usus, dass bei vielen Leistungen wie Zahnspangen, Blutzuckermessgeräten, Krankentransporten oder Zeckenschutzimpfungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Sätze gewährt wurden“, sagt der frühere Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger Alexander Biach.

„In Wien hat die Kasse 400 Euro zu einem Rollstuhl zugezahlt, in Vorarlberg war es fast das Zehnfache. – das hat niemand verstanden.“

Was die Versicherten in der ÖGK angeht, wurden mittlerweile viele Leistungen harmonisiert – noch dazu auf dem höchsten Level.

Einige Beispiele: Das Krankengeld wurde einheitlich von 52 auf 78 Wochen angehoben; für CT- und MRT-Untersuchungen ist keine Chefarztbewilligung nötig; und in ganz Österreich ist die Beschränkung gefallen, dass man pro Quartal nur drei Fachärzte aufsuchen darf.

Werden also alle Patienten gleich behandelt?

Nein – und das ist eine der großen Schwächen im Gesundheitssystem. Wer in der Beamtenversicherung oder der Versicherung der Selbstständigen versichert ist, bekommt andere, zum Teil bessere Leistungen.

Ein Grund: Diese Kassen verlangen Selbstbehalte. Ein anderer: Die Struktur der Versicherten ist eine andere. „Die Beamtenversicherung hat den Vorteil, dass sie keine Arbeitslosen, Asylwerber und Mindestsicherungsbezieher versichert“, sagt ÖGK-Obmann Andreas Huss.

Und während die ÖGK die Hälfte der Mitgliedsbeiträge verliert, wenn ein Unternehmen in Insolvenz geht, ist dies bei den Beamten unmöglich – der Staat geht nicht pleite. „Die Beamtenversicherung hat pro Versichertem um 500 Euro im Jahr mehr Einnahmen als die ÖGK.“

Wie könnte die Situation verbessert werden?

Experten wie der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer befunden, dass die Reform insofern zu „weicheirig“ ist, als es nach wie vor keine einheitliche Gesundheitsversicherung gibt. „Prinzipiell kann ich der Grundüberlegung einer zentralen, bundesweiten Krankenkasse aber etwas abgewinnen.“

Ist die Patientenmilliarde also eine Illusion?

Nicht unbedingt. Aber für eine große Reform wären enorme Anstrengungen nötig – und das ohne (partei-)politische Rücksicht auf die Stakeholder. Wesentlich wäre, die Nachteile, die Kassen durch ihre Patientenstruktur haben, auszugleichen – etwa durch einen Fonds, wie ihn die ÖGK fordert.

Illusorisch ist es freilich nicht, Hunderte Millionen Euro im Gesundheitssystem klüger zu verwenden. Experte Biach weiß, dass das halt nicht schnell geht. „Realistischerweise dauert es sieben Jahre, bis Maßnahmen wie die Patientenmilliarde greifen.“

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