Selenskij in Wien: "Ukrainer wollen keine russischen Untertanen sein"

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij ist am Montag mit militärischen Ehren in Wien empfangen worden. Es handelt sich um den ersten Österreich-Besuch des ukrainischen Staatsoberhaupts seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022. Selenskij wird von seiner Ehefrau Olena Selenska zu dem offiziellen Besuch begleitet. Das Paar wurde kurz nach 13.00 Uhr von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seiner Frau Doris Schmidauer begrüßt.
Um 15 Uhr traten die beiden Präsidenten vor die Presse: "Die Menschen in der Ukraine wollen keine russischen Untertanen sein, sie kämpfen für ihre Freiheit", so Van der Bellen. "Es gilt, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verteidigen. Diesen Kampf führt die Ukraine nicht nur für sich selbst, sondern für ganz Europa."
"Militärisch neutral, nicht politisch"
Österreich habe sich von Anbeginn ohne Zögern auf die Seite der Ukraine gestellt, betont der Bundespräsident. "Österreich ist zwar militärisch neutral, aber nicht politisch." Russland sei eindeutig der Aggressor. "Ich appelliere an die Machthaber im Kreml: Beenden Sie diesen Krieg. Der Friede kann aber nicht ohne Berücksichtigung der ukrainischen Sicherheitsinteressen erfolgen."
"Ich weiß, dass Österreich immer an unserer Seite stand", so Selenskij, der sich für die Unterstützung bedankte. Der ukrainische Präsident sprach auch sein Beileid zur Tragödie in Graz aus. "Der Schmerz von solchen Verlusten kann nicht geheilt werden."
Er betonte, dass nun ein Waffenstillstand erfolgen müsse, danach sei Zeit für ehrliche Diplomatie. "Die ganze Welt will das, nur Russland nicht. Deshalb brauchen wir starken Druck auf Moskau. Deshalb sind neue Sanktionen notwendig."
Skeptisch zeigte sich Selenskyj zu einer Neutralität der Ukraine nach Österreichs Vorbild. Bezüglich der verschleppten Kinder erteilte Selenskyj einer Austauschvereinbarung mit Russland eine Absage. „Wir können Kinder nicht umtauschen, die sind keine Tauschware." Tausende Kinder seien gewaltsam nach Russland gebracht worden. Sämtliche Kinder müssten zurück in ihre Heimat, in ihre Familien und ihre Kultur gebracht werden.
Hilfe bei Auslieferungen
Selenskyj machte auch klar, dass er sich eine stärkere Kooperation der österreichischen Behörden bei Auslieferungsbestrebungen in Bezug auf eigene Staatsbürger erwartet. Es gehe dabei um Ukrainer, „die sich jetzt in Österreich verstecken, damit sie sich der Verantwortung entziehen können. Das ist verantwortungslos, vor allem in Zeiten des Krieges“, sagte er. „Wir hoffen, dass Österreich uns in dieser Frage helfen wird und uns unterstützen wird.“
Selenskyj bekräftigte auch seine Skepsis, was russische Neutralitätsvorschläge für sein Land betrifft. „Im Jahr 2014 war die Ukraine ein blockfreies Land und wir sehen, wie das alles geendet hat. Das hat mit einem Krieg geendet, mit der Okkupation der Halbinsel Krim und eines Teils der östlichen Ukraine“, sagte er. Die Ukraine sei damals „quasi neutral“ gewesen, habe nicht genug Entschlossenheit gehabt und ihre Armee nicht genug Kraft. „Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird, aber nicht nach einem Ultimatum und nicht um den Preis der Unabhängigkeit der Ukraine“, sagte er in Richtung Moskau.
Mehr Druck auf Moskau
Mit Blick auf den bevorstehenden G7-Gipfel forderte Selenskyj, den Druck auf Russland durch weitere Sanktionen zu erhöhen. Besonders wichtig seien etwa Sanktionen gegen russische Energieträger wie etwa Erdöl. Der ukrainische Präsident zeigte sich auch zuversichtlich, dass die USA weiter Waffen an Kiew liefern werden. „Wir reden mit Trump über Militärhilfe und Waffen, welche wir bereit sind zu kaufen“, betonte er. „Wir reden nicht über neue Hilfe.
"Seit dem Tag eins steht Österreich an der Seite der Ukraine", betonte auch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskij. "Wir wissen, wo unser Platz ist: Auf der Seite des Rechts und nicht auf der Seite des vermeintlich Stärkeren. Ich kann ihnen versichern, dass das auch so bleibt." Man müsse weiter den Druck auf Russland erhöhen. Es gehe aber auch darum, die Ukraine wieder aufzubauen. Österreichische Unternehmen könnten dabei einen wesentlichen Beitrag leisten.
Vereinbarungen unterzeichnet
Im Rahmen des Treffens wurden mehrere Dokumente zur Verstärkung der bilateralen Beziehungen unterschrieben. Darunter eine Absichtserklärung über politische Zusammenarbeit und Wiederaufbau und ein gemeinsames Kommuniqué zur Rückkehr von Kindern aus Russland.
Selenskji in Wien
Polizeiliche Platzsperre verordnet
Personen, die am Montag im 1. Wiener Gemeindebezirk unterwegs sind, haben mit Einschränkungen rund um den Heldenplatz zu rechnen. Via Verordnung heißt es seitens der Landespolizeidirektion Wien, dass „das Betreten des unten angeführten Bereiches und der Aufenthalt in ihm verboten und die Nichteinhaltung als Verwaltungsübertretung erklärt“ wird.
Die Sperrzone betrifft unter anderem den Michaelerplatz, den Heldenplaz, den Volksgarten bis hin zur Wallnerstraße und zur Bankgasse (Details siehe Grafik).
Das Betreten des Bereiches am 16. Juni seit 9 Uhr ist somit untersagt. Auch das Durchfahren ist nicht gestattet. Nur wenige Ausnahmen sind gewährt worden – etwa für Einsatzkräfte, Anrainer und Personen, die mit dem Staatsgast in Zusammenhang stehen. Sollte man sich nicht an das Verbot halten, so ist mit einer Geldstrafe von bis zu 1.000 Euro oder einer Ersatzfreiheitsstrafe zu rechnen.
Im Zuge des Besuches ist rund um den Sperrbereich mit einer erhöhten Polizeipräsenz zu rechnen.

Gipfel der First Ladies
Selenska ihrerseits nimmt an einem Treffen der First Ladies and Gentlemen am Mittwoch in der Hofburg teil. Laut der Tageszeitung Die Presse haben bereits Suzanne Innes-Stubb, Ehefrau des finnischen Präsidenten, Aleš Musar, Ehemann der slowenischen Präsidentin Nataša Pirc Musar, sowie Lucrecia Peinando, die First Lady Guatemalas, ihr Kommen zugesagt. Gastgeberin ist Doris Schmidauer. Der First Ladies and Gentlemen Summit findet seit 2021 auf Initiative von Selenska statt, in Kiew und als Online-Event. Schmidauer übermittelte bei einem derartigen Treffen im September 2014 eine Videobotschaft.
Scharfe Kritik an dem Besuch Selenskijs übte die FPÖ. Die Freiheitlichen brachten im Nationalrat eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Stocker ein, weil sich die Visite mit dem Beginn der Budgetdebatte im Nationalrat überschneidet. "Bekanntlich ist dieser Besuch der Grund für die Vorverlegung der Generaldebatte über das Belastungs-Budget, der sich die Regierung möglichst schnell entziehen will, um dem Oberhaupt eines kriegsführenden Staates zu huldigen und damit Österreichs Neutralität einmal mehr zu missachten", begründete die außenpolitische Sprecherin Susanne Fürst.
Lange bleiben wird Selenskij ohnehin nicht können. Sein Büro bestätigte, dass er am G7-Gipfel der größten westlichen Industriestaaten teilnehmen wird. Das Treffen findet von Sonntag bis Dienstag in den kanadischen Rocky Mountains statt.
Nur Österreich, Slowenien und Zypern noch nicht besucht
Österreich ist eines der letzten EU-Länder, die Selenskij noch nicht besucht hat. Nur in Slowenien und auf Zypern war der ukrainische Staatschef seit Kriegsbeginn ebenfalls noch nicht. Nach Slowenien war jedoch Selenska zu einem Arbeitsbesuch gereist. Selbst in Ungarn war Selenskij schon: Der ukrainische Präsident nahm auf Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán am Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) im November 2024 in Budapest teil. Auch im neutralen Malta war Selenskyj zu Gast und präsentierte dort bei einem Gipfel seine Friedensformel.
Selenskij ist aber bereits mit Mitgliedern der ÖVP-SPÖ-NEOS-Regierung zusammengetroffen. Die erste bilaterale Reise im Amt der Außenministerin führte Meinl-Reisinger Anfang März nach Kiew, wo sie unter anderem von Selenskij empfangen wurde. Ein Vier-Augen-Gespräch mit Selenskij hatte Bundeskanzler Stocker. Es fand am Rande eines EU-Gipfels Anfang März in Brüssel statt. Eine freie souveräne Ukraine sei im Interesse Europas und der USA, hatte Stocker erklärt. Österreich habe im Rahmen der Neutralität an der Unterstützung für die Ukraine teilgenommen und werde dies auch weiter tun, betonte der Kanzler.

327 Millionen Euro Hilfe
Die NEOS-Chefin setzte mit Ex-Manager Wolfgang Anzengruber Ende April außerdem einen Ukraine-Sonderkoordinator ein. Anzengruber soll beim Wiederaufbau unterstützen und koordinieren. Die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine werden auf 500 Milliarden Euro geschätzt. Dabei soll auch die Wirtschaft helfen. Mehr als 200 österreichische Unternehmen sind weiterhin direkt in der Ukraine tätig.
Österreich hat laut Außenamt bilateral seit Kriegsbeginn rund 327 Millionen Euro an staatlicher finanzieller und humanitärer Hilfeleistung für die Ukraine und ihre besonders betroffenen Nachbarstaaten mobilisiert. Dazu kämen Unterstützungsleistungen aus den österreichischen Bundesländern, aus privaten Initiativen und von österreichischen Unternehmen sowie weitere Leistungen, welche die Ukraine über den österreichischen Anteil an der EU-Unterstützung erhalte.
Selenskij sprach dreimal zu Österreich
Selenskij wandte sich seit Kriegsbeginn dreimal an die österreichische Politik und Bevölkerung. Ende März 2023 sprach Selenskij per Videoschaltung zum Nationalrat. Dabei dankte er Österreich für die Hilfe und bat um Unterstützung bei der Entminung. Per Leinwand berichtete er, dass in der Ukraine 174.000 Quadratkilometer, etwa die doppelte Fläche Österreichs, durch Minen und nicht-explodierte Geschoße kontaminiert seien. Selenskij betonte gegenüber den Abgeordneten im Plenarsaal, dass es wichtig sei, "moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein". Überschattet war die Veranstaltung vom Boykott durch FPÖ-Parlamentarier. Auch ein großer Teil der SPÖ-Abgeordneten blieb fern.
Ende Juni 2022 hatte Selenskij im Rahmen des 4Gamechangers-Festivals in der Wiener Marx Halle in einer Live-Schaltung jenen gedankt, "die verstehen, wer an diesem Krieg schuld ist". Er verteidigte die Sanktionen gegen Russland und warnte vor einem "Migrationstsunami" aus Afrika. Bei einem Solidaritätskonzert im März 2022 auf dem Wiener Heldenplatz wurde eine voraufgezeichnete Videobotschaft von Selenskyj gezeigt.

Platzsperre am Heldenplatz
Für Montag wurde auf dem Heldenplatz eine ganztägige Platzsperre verhängt. Die Polizei verbot das Betreten der Sperrzone, die auch den Volksgarten einschließt und bis zur Wallnerstraße reicht, ab 09.00 Uhr. Die Lesesäle der Nationalbibliothek und das Haus der Geschichte bleiben geschlossen. Gleichzeitig gab es eine große Polizeipräsenz. Zwei Kundgebungen wurden angekündigt: eine Demonstration zur "Unterstützung der Ukraine" sowie eine gegen den Besuch Selenskijs .
Wolfgang Katzian, der Präsident von ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) und EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund), äußerte zum Anlass des Besuchs "ernste Sorge". Er verwies auf die kurzzeitige Festnahme des Präsidenten des größten ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU, Hryhorij Osowyj, Anfang April. "Die Festnahme des Präsidenten des größten ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU und die Beschlagnahme ihres Gebäudes sind der vorläufige Höhepunkt einer zunehmend repressiven Linie der ukrainischen Regierung gegenüber unabhängigen, demokratischen Gewerkschaften", kritisierte Katzian am Montag in einer Aussendung.
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