Politologin über Proteste: "Die letzten Jahre hat sich viel Ärger aufgestaut"
Früher eine Domäne der Linken, protestieren heute alle Bevölkerungsgruppen für ihre Anliegen. So manche Empörung hat auch mit aufgestautem Krisenstress zu tun.
Zwischen Vizekanzler Werner Kogler und der FPÖ flogen am Donnerstag im Nationalrat die Fetzen. Die FPÖ hatte die Klebeaktionen von Klimaaktivisten ins Terrorismus-Eck gerückt – was den Chef der Grünen auf Betriebstemperatur brachte.
„Man könnte sagen“, hub Kogler an, „die sollen dorthin gehen, von wo die Gefährdung ausgeht, und die geht nicht von einem Kunstwerk aus. Das wäre auch mein Zugang. Aber die Klimaaktivistinnen sorgen sich, sie sorgen sich um Menschen, die noch nicht einmal geboren sind. Und diese als Terroristen zu bezeichnen, das gehört zum Schäbigsten, was in diesem Haus je passiert ist.“
Blanke Empörung
Die Emotionen gehen nicht nur im Nationalrat hoch, sondern auch in der Bevölkerung. Auf der einen Seite stehen radikalisierte Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die Kunstwerke attackieren und sich auf Straßen ankleben, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen. Sie ernten dafür Unverständnis bis blanke Empörung.
„Über die letzten Jahre haben sehr viele Leute sehr viel Ärger aufgestaut“, analysiert Barbara Prainsack, Politologin an der Uni Wien. In der Pandemie hieß es, man müsse sich „zusammenreißen“. Jetzt verursachen Teuerung und Energiekrise neuen Stress.
Und dann noch das Gefühl, eine Regierung zu haben, die sich nur um Partikularinteressen kümmere. „Das entlädt sich jetzt alles parallel zum Grundanliegen des Klimaschutzes“, sagt Prainsack.
Drastische Methoden
Die negativen Reaktionen entspringen zum Teil ebenfalls dem Krisenstress. „Die Alleinerzieherin auf dem Land, die ihr Kind mit dem Auto in den Kindergarten bringt, damit sie rechtzeitig zur Arbeit kommt, sieht nicht ein, warum sie eine Zielscheibe des Klimaprotests ist. Auch bei ihr hat sich einiges aufgestaut, und sie hat Mühe, ihren Alltag zu bewältigen.“
Daher sei die Frustration der Menschen, auf deren Kosten die Anklebe-Aktionen gehen, legitim.
Prainsack kann aber auch nachvollziehen, dass Klimaschützer drastische Methoden anwenden, um Gehör zu finden. Sie nennt das einen „Typ 3“-Protest (siehe Kasten unten), eine Form von Aktivismus, der die Systemfrage stellt und „alltagsunterbrechend“ wirkt.
Einfach gesagt: Man versucht, mit Verstörung Aufmerksamkeit zu erregen. Prainsack: „Das bringt die Leute dazu, über das Problem nachzudenken.“
Typ 1
Die übliche Form, Anliegen durchzusetzen, erfolgt innerhalb der Institutionen, etwa per Petition ans Parlament, Engagement in einer Partei, etc. Das gilt politikwissenschaftlich nicht als Protest, sondern ist das normale demokratische Prozedere, um Probleme zu lösen.
Typ 2
Lässt sich ein Konflikt nicht innerhalb der Institutionen lösen, gibt es dafür vorgesehene Protestmittel, wie z. B. Demos. Diese Form des Protests richtet sich an Regierende und „Policymaker“, wobei es um Forderungen innerhalb des Systems geht, etwa „Höhere Löhne!“
Typ 3
Radikale Form des Protests, die sich gegen die Institutionen an sich richtet. Sie ist alltagsunterbrechend, aktionistisch. Die Botschaft ist, dass man Systemveränderung anstrebt.
Am meisten öffentliche Unterstützung findet disruptiver Protest dann, wenn er die „Übeltäter“ trifft, und nicht unbeteiligte Dritte. Beim Protest gegen den Bau des Kraftwerks Hainburg etwa war das einfach – die Aktivisten blockierten die Baumaschinen.
Wer allerdings mit Klebe-Aktionismus den Autoverkehr generell bekämpfen will, macht alle Autofahrer zu Mittätern – und erntet entsprechende Abwehrreaktionen.
Negative Aufmerksamkeit
Noch zweifelhafter in der Wirkung ist der Aktionismus gegen Kunstwerke. Bilder anschütten „bringt zwar Aufmerksamkeit, aber die Wahrnehmung ist mehrheitlich negativ“, sagt Martin Dolezal, Politologe an den Unis Salzburg und Graz sowie dem IHS. „Die Forderung nach Klimaschutz wird hier durch die Form des Protests in den Hintergrund gedrängt, auch deswegen, weil Attacken auf Kunstwerke in keinem Kontext zum Klimaschutz stehen.“
Zielführender seien Aktionen, die die Anliegen der Aktivisten symbolisieren, etwa, wie in Hainburg, sich an Bäume anzuketten. „Man schützt den Baum mit dem eigenen Körper, das ist eine dramatische Symbolhandlung.“
Als Regeln für erfolgreichen Protest ließen sich aufstellen: Aufmerksamkeit erregen, und die Aktionen in einen Kontext zu den Anliegen stellen. Weiters sollte man versuchen, Teile der politischen Elite auf seine Seite zu ziehen, meint Dolezal. Wie das geht? „Etwa, indem man Mehrheiten hinter sich bringt, sodass es für Parteien relevant wird, das Anliegen zu übernehmen.“
Einen mäßig intelligenten Protest stellten die Opernballdemos dar, die Ende der 80er-Jahre zu Krawallen mit der Polizei führten. „Das war eine Kulmination des linken, auch gewaltbereiten Protests. Die Opernball-Demos sind eher ein problematisches Beispiel, wenn man über politische Partizipationsformen spricht“, sagt Dolezal.
Erfolgreiche Love Parades
Sehr erfolgreich waren hingegen die Love Parades. Anfangs vom Anliegen gegen Homosexuellen-Diskriminierung getragen, „sind sie heute breit akzeptiert und stoßen nur noch bei einigen religiösen Gruppen auf Widerstand“, sagt Dolezal.
Als Anti-Rassismus-Kundgebungen haben sich – ausgehend vom Protest gegen Jörg Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren 1993 – Lichtermeere etabliert. Dolezal: „Die Kerze wirkt friedlich und besinnlich. Außerdem ergeben viele Lichter optisch ansprechende Bilder, die sich gut verbreiten lassen.“
Der ÖGB mobilisierte mehr als 100.000 Demonstranten gegen die Pensionsreform. Sie kam dennoch, der damalige Kanzler Wolfgang Schüssel wurde 2006 abgewählt.
Aktivisten verschmieren Kunst – und provozieren eine Empörung, die ihr Anliegen, den Klimaschutz, in den Hintergrund drängt.
Wie die Lichtermeere trachten auch Demo-Veranstalter wie der ÖGB nach möglichst vielen Teilnehmern. Breite Unterstützung verleiht einem Anliegen größere Legitimität.
Proteste haben in Österreich im Lauf der Jahrzehnte zugenommen. Eine Ursache dafür ist, dass die Parteien an Mobilisierungskraft verloren haben, sie seien kaum noch in der Lage, politische Debatten zu monopolisieren. „Die Idee, dass eine politische Forderung automatisch über eine Partei transportiert werden muss, ist vorbei“, sagt Dolezal.
Die Lust auf Protest hat inzwischen alle Bevölkerungsgruppen erfasst. War es lange eine Domäne der Linken, der Studenten, der Städter, so gehen jetzt alle Gruppen auf die Straße. Bei den Corona-Demos wurde das deutlich sichtbar. Dolezal: „Protestieren ist normal geworden.“
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