Ex-Spindoktor Rudas: „Übertrainierte Politiker sind fehl am Platz“

Wer nach Österreich kommt, muss aktiv etwa für die Gemeinschaft beitragen, fordert Rudas, selbst ehemaliges Flüchtlingskind aus Ungarn.
KURIER: Sie gehörten in den Neunzigerjahren zum Team der SPÖ-„Spindoktoren“ rund um Viktor Klima. Strategische Kommunikation war damals neu und bahnbrechend. Aber gibt es mittlerweile nicht sogar zu viel davon, Stichwort „Message Control“?
Andreas Rudas: Damals wurde das überbewertet und heute ist es unpassend. Der Begriff kommt aus dem Billard: Der Spieler gibt mit dem Queue der Kugel einen bestimmten Spin. Aber in Wirklichkeit bedarf es eines führungsstarken Politikers, der die Linie vorgibt. Der Spindoktor unterstützt ihn dabei nur, ersetzt ihn aber nicht. Mittlerweile wird vieles überinszeniert. Dabei gilt: „Content matters“! Übertrainierte Politiker sind fehl am Platz – jetzt ist Authentizität gefragt.
Sie haben im ORF mit Gerhard Zeiler gearbeitet, der auch später noch als Personalreserve für die SPÖ- wie für die ORF-Spitze galt. Schade, dass es nicht geklappt hat?
Sehr schade, weil er von außen kommt, ein international erfolgreicher Manager ist und Wirtschaft versteht. Gleichzeitig ist er ein hochpolitischer Mensch, der also am politischen Parkett nicht ausgerutscht wäre. Und er hat Charisma.

Warum wurde es nichts?
Das ist ein weltweites Phänomen. Viele politische Parteien entscheiden nur nach inneren Kriterien. Es geht nicht darum, wer der Beste ist, sondern welche Gruppe man zufriedenstellen muss und wer sich im internen politischen Kampf am besten durchsetzt.
Teile der SPÖ, vor allem die wirtschaftsnäheren, waren nicht begeistert von Andreas Babler an der Spitze. Was halten Sie von seinen Klassenkampftönen?
Ich will dazu etwas Grundsätzliches sagen: Wir sind in der Welt und in Österreich in einer so dermaßen diffizilen Situation, dass es jetzt nicht mehr um Personen, Dogmen oder Ideologien geht. Wir hatten eine Pandemie, haben Kriege, und die große Herausforderung „Künstliche Intelligenz“ steht erst vor uns. Sie wird alles fundamental verändern. Wir brauchen daher eine Koalition der Willigen, einen nationalen Bauchaufschwung, um pragmatische Lösungen zu finden. Das ist ein Appell an alle.
Ist die Linke in einer Krise, weil sie die Migrationsproblematik so lange außer Acht gelassen hat?
Das ist ein wunder Punkt. Die Werte der Sozialdemokratie waren immer soziale Gerechtigkeit, Arbeit, Religionsfreiheit, Frauenemanzipation. Und viele Migranten stehen dazu in einem Widerspruch. Daher sind viele SPÖ-Wähler zu den Rechten abgewandert. Ich bin selbst ein ungarisches Flüchtlingskind, spreche fließend ungarisch, bin aber jetzt ein 100-prozentiger Österreicher – vielleicht sogar mehr, als viele andere. Ich bin dankbar, was mir dieses Land ermöglicht hat – aber nur deshalb, weil ich mich an die Kultur, an das Land, an die Gewohnheiten angepasst habe. Das erwarte ich auch von anderen, die kommen.
Vielleicht gilt nun das einst von SP-Kanzler Christian Kern plakatierte Mantra „Hol dir, was dir zusteht“ auch für Migranten?
Das ist ein vollkommen falscher Satz. Schauen Sie sich die Sozialdemokratie der Ersten Republik an! Die Stärke des „roten Wien“ war doch: Wir arbeiten, wir schaffen für die Gemeinschaft, wir bilden uns weiter, Sauberkeit, Offenheit. Jemand, der in diese Gesellschaft kommt, hat auch etwas aktiv beizutragen. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderung, müssen aber gleichzeitig hart gegenüber jenen sein, die nicht bereit sind mitzuwirken und die unsere freiheitliche, demokratische emanzipatorische Grundordnung verletzen.
Was halten Sie von einer „Brandmauer“ gegenüber Rechten?
Das Toleranzparadoxon besagt, dass die Toleranten sogar gegenüber ihrem eigenen Untergang tolerant sind. Ich bin ein massiver Anhänger einer wehrhaften Demokratie. Jeder, der unsere demokratische Grundordnung – von Pressefreiheit bis Frauenemanzipation – infrage stellt, der muss auch mit Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden.
Sie waren lange Medienmanager. Es wirkt so, als würden sich alle Jungen nur noch auf Tiktok und Youtube bewegen – der Untergang der klassischen Medienhäuser? In der Geschichte der Medien haben neue Medien nie die alten getötet. Es geht letztlich immer um den Inhalt: Den muss man auf allen Wegen transportieren. Aber die klassischen Medien müssen sich natürlich verändern. So wie die Politik lernen muss, miteinander undogmatisch Probleme zu lösen, müssen auch die verschiedenen Medienanbieter in diesem kleinen Land stärker ihre Kräfte bündeln. Als Gerhard Zeiler die „Blaue Seite“ des ORF eingeführt hat, hat er allen österreichischen Printmedien angeboten, mitzutun: sogar mit einer gemeinsamen Vermarktungsplattform. Das wurde verteufelt – jetzt wären alle froh, wären sie da dabei gewesen. Das zeigt übrigens Zeilers Visionen!
Was sagen Sie zur Rückkehr Peter Westenthalers in den ORF-Stiftungsrat? Er sitzt nun auch in ORF-Debatten und spricht recht forsch über den ORF.
Das ORF-Gesetz legt fest, dass der Stiftungsrat aufsichtsratsähnlich ist. Man ist für das Wohl des Unternehmens mitverantwortlich, was bedeutet, dass ich mich in meinen öffentlichen Aussagen zum Unternehmen generell zurückhalten muss. Kritische Äußerungen sind nach AG-Aufsichtsratgesetz sogar verboten.

Zur Person
Andreas Rudas baute für die RTL-Group das Geschäft in Asien, Afrika und Osteuropa auf. Seine Karriere startete er in der Wiener SPÖ, später wurde er ORF-Generalsekretär, SPÖ-Bundesgeschäftsführer und „Spindoktor“. Von 2000 bis 2005 war er bei Magna tätig, danach wechselte er zur WAZ Mediengruppe, ab 2008 zu RTL. Aktuell hat er als Berater bei der Kommunikationsagentur „Public Interest“ angeheuert.
Welche Beziehung haben Sie zu Ungarn und dessen Regierung?
Eine starke, ich bin oft in Budapest. Als Medienmanager für die WAZ und RTL war ich auch in Ungarn tätig, wo ich einen großen Konflikt mit der Regierung auszukämpfen hatte, weil wir von einem Tag auf den anderen mit einer 50-prozentigen Steuer belegt wurden. Ich habe also einschlägige Erfahrungen mit dieser Regierung! Wobei ich glaube, dass in der Wendezeit vom Westen sehr viel falsch gemacht wurde. Diese Märkte wurden ausschließlich nach kapitalistischen Prinzipien gesehen und Baumärkte und Supermärkte hingesetzt, statt die ehemals kommunistischen Länder behutsam und kultiviert in das kapitalistische System einzubinden.
Wie Ihr Bruder haben Sie Medizin studiert. Was faszinierte Sie daran?
Ich bin zur Medizin gekommen, weil beide Eltern Ärzte waren. Im Studium habe ich mich dann bei der Plattform „Kritische Medizin“ engagiert, deren Anliegen auch noch heute, fünfzig Jahre später, gelten: gegen die Drei-Minuten-Medizin, gegen Symptommedizin, gegen die Entpersönlichung der Behandlung. Ich habe das Studium nicht abgeschlossen, weil ich bei einem der faszinierendsten Gesundheitspolitiker die Chance zu arbeiten hatte: Gesundheitsstadtrat Alois Stacher, selbst renommierter Uniprofessor. Er hat mir die gesellschaftliche Bedeutung der Medizin beigebracht.
Sie sind passionierter Läufer. Laufen Sie dem Alter davon?
Vielleicht! Ich hab’s in mir, stehe in der Früh auf und muss laufen. In meiner RTL-Zeit bin ich ja 600.000 Meilen im Jahr geflogen und zwischen den Zeitzonen gependelt. Das war dann schon teilweise mühsam, aber ich bin auch in Singapur um sechs Uhr Früh laufen gegangen.
War Viktor Klima zwar ein guter Manager, aber eine Fehlbesetzung in der Politik?
Er war ein ausgezeichneter Infrastruktur- und ein noch besserer Finanzminister und meiner Meinung nach auch ein guter Bundeskanzler. Ein Regierungschef muss breiter sein und eine Vision fürs ganze Land haben – wie Tony Blair und Gerhard Schröder. Und man muss mehr sein als nur eine Partei.
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