Gewessler: Intern ein Star, urban geschätzt, am Land ein Gottseibeiuns

Leonore Gewessler
Leonore Gewessler im ersten ORF-Sommergespräch 2025: Die Grüne muss versuchen, 260.000 Wähler zurückzugewinnen.

Seit diesem Juni ist Leonore Gewessler ganz oben: Der Bundeskongress wählte die 46-jährige Steirerin zur neuen Bundessprecherin der Grünen. Ob sie sich da oben auch behaupten kann, wird sich bei der nächsten Nationalratswahl zeigen.

Beim ersten ORF-Sommergespräch hat sie jedenfalls die Möglichkeit, sich in ihrer neuen Funktion erstmals einem breiten Publikum zu präsentieren.

Die Ausgangslage für Gewessler ist nicht sehr rosig: Die Grünen waren mit viel Selbstvertrauen wegen einer vermeintlich guten Regierungsarbeit von 2020 bis 2024 in die Nationalratswahl gegangen und erlebten dort einen Absturz: Sie verloren rund 40 Prozent ihrer Wähler, ein Minus von etwa 260.000 Stimmen.

Gewesslers Vorgänger als Parteichef, Werner Kogler, musste sich übrigens parteiintern deshalb kaum Kritik gefallen lassen. Das hatte aber vor allem damit zun tun, dass Kogler in einer unvergleichlichen One-Man-Show die Grünen nach dem Abflug aus dem Parlament 2017 von der außerparlamentarischen Oppositionsbank gleich zur Regierungsbank führte.

Nur mehr in Eisenstadt

Aber auch in den Bundesländern hatten die Grünen schon rosigere Zeiten: Bis auf die Bundesländer Steiermark und Niederösterreich hatten die Grünen schon überall Sitze in den Landesregierungen. Aktuell bleibt nur mehr das Burgenland, wo sie dem fast allmächtigen SPÖ-Landeschef Hans Peter Doskozil die Mehrheit absichern.

Gewessler selber war in der vergangenen türkis-grünen Koalition die vielleicht mächtigste Ministerin – mit einem prall gefüllten Ressortbudget und der Verantwortung nicht nur beim Umweltschutz, sondern den großen Themen Verkehr, Bundesbahn und Energie.

Sie war ob ihrer Agenden zeitweise omnipräsent in den Medien, trotz Coronakrise. Mit dem zweifelhaften Höhepunkt im Juni 2024, als sie entgegen der Position des Koalitionspartners Volkspartei in Brüssel die entscheidende Stimme bei der EU-Renaturierung war.

Die eigentliche Überraschung war, dass die ÖVP damals nicht sofort die Koalition aufkündigte, Gewessler wurde zwar Rechtsbruch, ja sogar Verfassungsbruch unterstellt. Die Strafverfolgungsbehörden sahen hingegen kein gesetzwidriges Verhalten.

Und nun? „Wenn der Eindruck entstanden ist – wie mir ein Ehepaar aus Vorarlberg erzählt hat – dass man die Grünen nicht wählen kann, wenn man ein Auto besitzt, dann haben wir etwas falsch gemacht. Wir müssen uns ganz fest verankern als Partei an der Seite aller Menschen – auch jener, die auf ein Auto angewiesen sind“, sagte Gewessler vor ihrer Wahl im Juni. Denn außerhalb der Städte spüren die Grünen am meisten Widerstand –  wegen ihrem Zugang zum Pkw, zum Klimaschutz und zur „woken“ Welthaltung. Genau das wird schwierig: Sich politisch enorm verbreitern und dabei authentisch bleiben.

Kommentare