Die Kompromiss-Koalition: Wie es Stocker, Babler und Meinl-Reisinger anlegen wollen

Die Kompromiss-Koalition: Wie es Stocker, Babler und Meinl-Reisinger anlegen wollen
Das gemeinsame Programm steht, ÖVP, SPÖ und Neos könnten erstmals zu dritt regieren. Vorher muss nur noch die Parteibasis der Neos zustimmen.

Der Kanzler in spe ging kein Risiko ein. Blauer Dreiteiler und blaue Krawatte; das obligate weiße Hemd, dazu die rot-weiß-rote Flagge am Revers. So stand Christian Stocker fünf Monate nach der Nationalratswahl in einem mit Licht gefluteten Saal im Parlament und präsentierte zwischen SPÖ-Chef Andreas Babler und Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger das Regierungsprogramm.

KOALITION: PRÄSENTATION DES REGIERUNGSPROGRAMMS VON ÖVP, SPÖ UND NEOS - BABLER/STOCKER/MEINL-REISINGER

Geht alles glatt, ist der in Medien als „unwahrscheinlichster Kanzler der Zweiten Republik“ bezeichnete Rechtsanwalt ab Montag Regierungschef.

Und auch wenn man den Begriff „historisch“ zurückhaltend verwenden muss – in diesem Falle passt er, denn: Zum ersten Mal könnte ein Regierungsteam aus drei Parteien bestehen; und zum ersten Mal seit ihrer Gründung wären die Neos in einer Regierung mit von der Partie.

Zwei Drittel

Warum der Konjunktiv? Der von den Parteichefs in den vergangenen Tagen und Nächten vereinbarte, 211 Seiten zählende Pakt ist erst dann wirklich gültig, wenn heute, Freitag, bei ÖVP und SPÖ der Parteivorstand und bei den Neos die Basis zustimmt. Zwei Drittel ihrer Mitglieder muss Beate Meinl-Reisinger am Sonntag überzeugen. Doch das türkis-rot-pinke Trio gibt sich optimistisch: Wird schon klappen.

Was ist die gemeinsame Erzählung, das Narrativ, wie es zeitgeistig heißt?

„Jetzt das Richtige tun“ lautet der Titel des gemeinsamen Arbeitskonvoluts.

Und wenn es zwei Begriffe gibt, die Stocker, Babler und Meinl-Reisinger verbinden, dann sind es am ehesten die beiden „K“: „Konsens“ und „Kompromiss“.

Man habe sich, so erzählt Stocker, dank einer „zutiefst österreichischen“ Kulturtechnik gefunden, nämlich: „Durchs Reden kommen d’ Leut’ z’amm’.“ Ganz ähnlich Babler und Meinl-Reisinger, die von einem „Kompromiss im besten Sinne des Wortes“ sprechen und erklären, dass es gerade bei unterschiedlichen Wertehaltungen der Ausgleich sei, der ein Land nach vorne bringe.

Damit ist – indirekt – auch der Parteichef der stimmenstärksten Bewegung angesprochen.

 Herbert Kickl wird von keinem der künftigen Koalitionäre namentlich erwähnt. Doch der angehende Kanzler will diesen Tag nicht verstreichen lassen, ohne zumindest zu erwähnen, dass „sich andere der Zusammenarbeit entzogen haben, während wir Einvernehmen herstellen konnten“.

Worin besteht es genau, dieses Einvernehmen?

Minimalkompromisse

Ohne exakt sagen zu können, wie im Detail man sicherstellt, dass das Experiment einer Dreierkoalition nicht an den Mühen des politischen Alltags scheitert, steht zumindest fest, was man dezidiert nicht will: Minimalkompromisse. Stattdessen versprechen ÖVP, SPÖ und Neos, man werde dem jeweils anderen Erfolge gönnen. Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Prinzip bei einer Koalitionspräsentation erwähnt wird. Aber immerhin vermitteln Stocker, Babler und Meinl-Reisinger ein wenig, wie man sich die Aufgaben aufteilen möchte: Neben der Entlastung der Wirtschaft, die ÖVP und Neos ein Anliegen ist, soll Stockers ÖVP mit Konsequenz bei Asyl- und Sicherheitsfragen nach rechts hin abdecken; die Neos widmen sich mit der Bildung ihrem deklarierten „Herzensthema“ (© Meinl-Reisinger). Und Andreas Babler verkündet nicht ohne stolz, dass im Wahlkampf ventilierte Forderungen wie die Mietpreisbremse oder die Kindergrundsicherung nun tatsächlich im Regierungsprogramm stehen.

Das alles wurde unter dem Vorbehalt eines sanierten Budgets niedergeschrieben. 6,4 Milliarden sollen allein im kommenden Jahr gespart werden. Die Kraftanstrengung ist enorm, sie bindet die Drei aneinander.

„Wir sind ehrlich: Das werden zwei sehr harte Jahre“, sagt Meinl-Reisinger irgendwann bei der Präsentation. Und das gilt vermutlich nicht nur für die Sanierung des Budgets.

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