Gegen FPÖ-Kanzler Kickl: Was hinter der Sehnsucht nach Türkis-Rot steckt

Letzte "Große Koalition": Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern und ÖVP-Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (2016-2017)
Normalerweise winden sich Politiker, werden sie vor Wahlen nach ihrer Koalitionspräferenz befragt. Vor dieser Nationalratswahl ist alles anders: Zwischen roten und türkisen Landeshauptleuten und -parteichefs scheint ein Wettrennen ausgebrochen zu sein, wenn es darum geht, die neu entdeckte Liebe zu einer SPÖ-ÖVP-Koalition öffentlich zu bekunden.
Zuletzt waren dies die Landeschefs von Kärnten und der Steiermark, Peter Kaiser (SPÖ) und Christopher Drexler (ÖVP). Nur noch wenige sind übrig, die sich bedeckt halten, oder – wie Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) – offen gegen solche Festlegungen auftreten.
Doch was steckt hinter diesen Bekenntnissen? Und sind sie so früh vor der Wahl sinnvoll? Der KURIER hat ÖVP- und SPÖ-Kennern gesprochen.
Von Großer Koalition könne eingedenk der derzeitigen Umfragewerte keine Rede mehr sein, sagt Heidi Glück, Ex-Sprecherin von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel und Kommunikationsexpertin. Hinter diesen Wortmeldungen stecke ein „Kanzler-Kickl-Verhinderungskalkül“. Die Koalitionspräferenz lenke derzeit davon ab, dass sich ÖVP wie SPÖ Inhalten widmen und diese schärfen müssten.

2013-2016: SP-Kanzler Werner Faymann mit Pröll-Nachfolger, ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Michael Spindelegger
Pragmatismus
„Derzeit ist schwer vorstellbar, dass die SPÖ den bekannten ÖVP-Positionen zustimmen könnte und vice versa. Allein bei der Steuer- und Finanzpolitik könnten die Differenzengrößer nicht sein“, so Glück. Beide Parteien müssten „in die Mitte rücken – und zwar nicht ideologisch, sondern pragmatisch“. Und: „Die Erwartungshaltung der Wählerschaft an die dereinst Große Koalition war und ist, dass sie die wirklich großen Themen angehen, doch weder ÖVP noch SPÖ streifen auch nur das Thema Pensionen oder Bildung.“

2007-2008: ÖVP-Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer und SPÖ-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer
Positiv urteilt Josef Kalina, PR-Berater und einst SPÖ-Bundesgeschäftsführer, über die Vorstöße der Landeshauptleute. „Nach Jahren der aggressiven Rhetorik zwischen den Parteien tut sich hier die Chance einer neuen, vernünftigen Politik der Mitte auf.“
Dass derart frühe Koalitionsansagen dazu führen könnten, dass Wähler von SPÖ und ÖVP zu Hause bleiben, glaubt Kalina nicht. Zu viel stehe bei der Wahl noch auf dem Spiel. Etwa, ob es beide Parteien doch noch schaffen, stark genug für eine Zweierkoalition zu werden. Wobei sich die Österreicher schön langsam mit der Option von Dreierbündnissen anfreunden sollten. Schließlich seien sie in anderen Ländern längst Alltag.
Inzwischen ist noch die türkis-grüne Regierung im Amt. Sie tüftelt laut eigenen Angaben am Arbeitsprogramm für die Monate bis zur Wahl. Dabei soll es um die Themen Sicherheit, Energie sowie Konjunkturmaßnahmen gehen.
Große Koalitionen – also Regierungen von SPÖ und ÖVP – gibt es in Österreich seit Figl (ÖVP) und Schärf (SPÖ). Kamen SPÖ und ÖVP in der Regierung Raab III (1959-60) auf.
89% der Stimmen: So kämen SPÖ und ÖVP derzeit laut Umfragen auf unter 50% und wären damit auf einen dritten Regierungspartner angewiesen.
In den Ländern gibt es derzeit SPÖ-ÖVP- respektive ÖVP-SPÖ-Koalitionen in Kärnten, Tirol und der Steiermark.
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