Eine der sicherheitspolitisch spannendsten ist wohl diese: Was tut Österreich, wenn ein Mitgliedsstaat der EU angegriffen wird? Was wäre zum Beispiel, würde Polen die Union um Beistand bitten? Kann man sich dann weiter auf die Neutralität und die „Irische Klausel“ berufen und in einer Solidargemeinschaft unsolidarisch bleiben?
„Die Neutralitätsfrage wird in den nächsten Jahren viel stärker aufs Parkett kommen“, prophezeite Ulrike Franke, die als Verteidigungsexpertin des European Council on Foreign Relations an der Präsentation teilnahm.
Finnland und Schweden hätten ihre Neutralität aufgegeben. Malta und Zypern seien zu klein und sicherheitspolitisch nicht weiter relevant. Und da Irland am Rande des Kontinents liege, stehe Österreich mit seiner Neutralität heute fast alleine da.
An dieser Stelle war man geneigt einzuwerfen: Aber die Schweiz! Was ist mit ihr? Sie ist doch auch neutral!
Auftritt Salome Meyer: Die Eidgenössin ist seit wenigen Wochen Botschafterin der Schweiz in Wien. Und sie räumte bei Tanners Präsentation mit einem Missverständnis auf, das auch an den heimischen Stammtischen und im Parlament lustvoll ventiliert wird: „Die Neutralität ist nicht Werte-neutral“, sagt Meyer. Das bedeutet: Wer militärisch und völkerrechtlich neutral ist, beobachtet die internationale Politik nicht teilnahmslos oder passiv.
Was die Menschenrechte, die Flüchtlings- oder Entwicklungshilfe angehe, sagt Meyer, könne es für einen demokratischen Staat keine neutrale Haltung geben.
Und: Eine „glaubwürdige Neutralität“ setze in jedem Fall eine Armee voraus, die „wehrhaft und durchhaltefähig“ sei. Andernfalls wäre man im „Worst Case“ ja einmal mehr auf die (militärische) Hilfe Dritter angewiesen – und dann keinesfalls neutral.
Was die Schlagkraft des österreichischen Bundesheeres angeht, ist zuletzt ja vieles verändert worden: Mit der schrittweisen Steigerung des Wehrbudgets von rund 2,7 (2022) auf 4,7 Milliarden Euro im Jahr 2026 wird Österreich so viel wie nie zuvor für seine Landesverteidigung ausgeben.
Applaus gibt es dafür unter anderem von Erwin Hameseder. Der Raiffeisen-Generalanwalt ist Milizbeauftragter der Regierung. Und in beiden Funktionen – als Miliz-Offizier und als Vertreter der Wirtschaft – appellierte Hameseder, die Lehren aus dem Ukraine-Krieg zu ziehen. Die Abhängigkeit von autoritären Regimen müsse verringert, die Resilienz erhöht werden. „Es ist ein Gebot der Stunde, dass wir uns von dieser Abhängigkeit Stück für Stück entfernen.“
Angesichts all der tristen Aussichten und schwierigen Themen, mit denen sich die Politik besser früher als später auseinandersetzen muss, bleibt die Frage: Gibt es auch Positives zu vermelden?
Vielleicht kann Gerhard Christiner helfen. Christiner ist Vorstand der Austrian Power Grid und damit der heimischen Stromnetz-Infrastruktur. In seinem Plädoyer bemängelte der Energie-Experte zwar, dass die Energiewende weitgehend ohne Plan und Abstimmung passiert. „Es werden Windparks gebaut, bevor es die dafür nötigen Stromnetze gibt. Und die Genehmigungsverfahren dauern oft zu lang.“
Angesichts der Speicherstände beim Gas könne man aber eines ausschließen: Dass es in diesem Jahr zu „flächendeckenden Abschaltungen“ kommt. Kurzum: 2023 wird ziemlich sicher nicht das Licht ausgehen, weil das Gas zu Ende geht. Das ist noch keine Jubelmeldung, schon klar. Aber es zeigt jedenfalls, dass Schreckensszenarien auch abwendbar sind. Vorausgesetzt, man handelt.
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