Nehammer: "Fehleinschätzung, dass Polizisten Macht ausüben möchten"
Wer das Ministerbüro von Karl Nehammer im eleganten Palais Dietrichstein-Modena betritt, hört im Hintergrund stets den Polizeifunk laufen. Seit dem Corona-Lockdown verfolgt Nehammer die Funksprüche mit. „Ich möchte wissen, was die Polizisten im Einsatz erleben.“ Gerade in den vergangenen Wochen stand die Polizei im Spannungsfeld, einerseits die Grund- und Freiheitsrechte zu schützen, andererseits die Erlässe der Regierung zu exekutieren, die eine große Einschränkung eben dieser Grundrechte bedeuteten.
30.000 Anzeigen
Mehr als 30.000 Anzeigen hagelte es in den vergangenen sieben Wochen, was der Exekutive nicht selten den Vorwurf der Willkür einbrachte. „Für mich ist es eine Fehleinschätzung, dass die Polizisten gerne Macht ausüben möchten. Im Gegenteil, ich finde es berührend, wenn man die Vielfalt an Einsätzen über Funk miterlebt“, verteidigt Nehammer seine Mitarbeiter.
Und was macht die Polizei jetzt, wo die Ausgangsbeschränkungen beendet sind? Wieder mehr Strafmandate für Raser austeilen? In diesem Punkt schwingt bei Nehammer eine gewisse Ambivalenz mit. Klar ist der ÖVP-Mann fürs Grobe erleichtert, dass die Infektionszahlen niedrig sind. Doch fast mehr wiegt nun die Befürchtung, dass durch die Lockerung, der errungene Erfolg wieder zunichtegemacht werden könnte.
Angst vor zweiter Welle
Wenn man den Sturm auf die Shoppingcenter österreichweit gestern gesehen hat, dann kann man Nehammers Sorge nachvollziehen. Dazu kommen 17 neue Infizierte allein in einem Wiener Asylheim, wo 400 Menschen untergebracht werden. „Der Mai wird ein entscheidender Monat werden. Ich hoffe, die Österreicher blenden das nicht aus“.
Wenn künftig ein Corona-Hotspot entsteht, dann werde für das Kontaktpersonen-Management die Polizei die Bezirksverwaltungsbehörden unterstützen. „Jetzt zählt die Geschwindigkeit“, so Nehammer. Eine Stigmatisierung will der Innenminister nicht erkennen, wenn die Polizei Infizierte befragt. „Es ist ein Angebot, dass nicht in Anspruch genommen werden muss“, so der ÖVP-Minister. Auch eine Quarantäne für den jeweiligen Ort ist möglich, um die Infektionskette zu unterbrechen.
Gruppentherapie
Knapp 115 Tage ist Nehammer im Amt. Schonfrist gab es für die ganze Regierung keine. Was hat die Corona-Krise ihn selbst und das Corona-Quartett (Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer) gelehrt? Gab es in den ersten Wochen der Koalition den Konsens, dass man durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann – was eigentlich nicht Usus in einer Regierung ist –, agierte die Wucht von Corona als eine Art Gruppentherapie für Türkis-Grün. „Wir lernten, mit einer Stimme zu sprechen. Eine enge Abstimmung war wichtig, damit die Menschen nicht unterschiedliche Informationen bekommen.“ Und vor allem: Es mussten ohne große Debatten schnell Lösungen gefunden werden. Auch das ist ein Novum in der Politik.
KURIER Talk Karl Nehammer
Schwere Gratwanderung
Nehammer schätzt die „umfassende Diskussionsbereitschaft“ von Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne). „Und wir stellten fest, dass wir im Gegensatz zu den Koalitionsverhandlungen auch einer Meinung sein können“, schildert der ÖVP-Innenminister.
Scharfe Kritik hagelte es für Nehammer für seine Wortwahl, etwa als er von den „Lebensgefährdern“ sprach oder davon, dass „die Glutnester der Infektionen gezielt gelöscht werden müssen“. Für Nehammer seien das „starke Wortbilder“, die das Bewusstsein schaffen sollten, dass die Krise noch nicht vorbei ist. In diesem Punkt gibt Nehammer zu, dass er einen großen Lernprozess hinter sich habe.
Im Krisenmodus „erhöhe sich täglich die Taktzahl an Informationen, die kommuniziert werden müssen“. Die tägliche Gratwanderung – „was ist Informationsoffensive und was ist Panikmache“ – perfekt zu machen, sei sehr schwierig.
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