Nationalratswahl: 1,2 Millionen "stumme" Stimmen

Nationalratswahl: 1,2 Millionen "stumme" Stimmen
Bei der "Pass-Egal-Wahl" können Menschen ohne Wahlrecht an der Nationalratswahl teilnehmen - rein symbolisch.

Sollte man in Österreich auch ohne Staatsbürgerschaft auf Bundesebene wählen dürfen?

Bei der Nationalratswahl am 29. September dürfen knapp 16 Prozent der in Österreich im wahlfähigen Alter lebendenden Menschen nicht wählen. Der Grund: Sie sind keine Staatsbürger, besitzen also keinen österreichischen Pass. EU-Ausländer haben zwar das Recht, an Kommunalwahlen teilzunehmen, nicht aber an nationalen Wahlen oder Landtagswahlen. Drittstaatsangehörige dürfen gar nicht wählen. Eine Menschenrechtsgruppe will mit einer Aktion darauf aufmerksam machen.

Pass egal?

Die Aktion nennt sich "Pass-Egal"-Wahl. Zumindest symbolisch sollen Menschen ohne Pass wählen dürfen. „Die Aktion von SOS-Mitmensch will denjenigen eine Wahlstimme geben, über deren Köpfe bei der Nationalratswahl hinweg entschieden wird“ sagt SOS-Mitmensch Sprecher Alexander Pollack.

Heute, am 24. September, findet die Symbol-Aktion zum vierten Mal statt. Erwartet wird ein Teilnehmerrekord von über 3000 Menschen ­- auch wenn ihre Stimme für das Wahlergebnis nicht zählt.

Nationalratswahl: 1,2 Millionen "stumme" Stimmen

SOS-Mitmensch fordert „eine ernsthafte Diskussion über die Öffnung der österreichischen Demokratie für Menschen, die hier geboren wurden oder schon lange hier leben".

Die Aktion trifft auch auf Widerstand. Nicht jeder befürwortet ein Wahlrecht für Nicht-Staatsbürger. Am lautesten wehren sich die Freiheitlichen. „Wer jahrelang in Österreich wohnt und auch hier wählen möchte, der soll sich um eine Staatsbürgerschaft bemühen. Wer das nicht schafft, ist offensichtlich gar nicht integrationswillig und braucht hier auch nicht zu wählen“, meldet sich FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky zu Wort. Nachdem der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher vergangene Woche via "Standard" eine Ausweitung des Wahlrechts für EU-Bürger auf Bundesebene gefordert hat, versetzt die SPÖ-Spitzenkandidatin diesen Hoffnungen einen Dämpfer und sagte in der ORF-Pressestunde, dass dies für die SPÖ momentan kein Thema sei. Auch der ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer reagiert in einer Aussendung: "Wir lehnen ein Ausländerwahlrecht entschieden ab. "

Die Neos sprachen sich schon Anfang September bei einer Pressekonferenz für eine Ausweitung des aktiven und passiven Wahlrechts für alle EU-Bürger aus. "Die Ausweitung des Wahlrechts wäre ein fundamentaler Schritt in Richtung mehr Demokratie und einer tieferen Union in Europa. Wir werden in der nächsten Periode entsprechende Anträge einbringen" sagte Claudia Gamon.

Nationalratswahl: 1,2 Millionen "stumme" Stimmen

"Eine Einbürgerung ist in Österreich kaum möglich", sagt Pollack von SOS-Mitmensch. „Von 150 Personen wird pro Jahr nur eine einzige Person eingebürgert.“ Das liege an den restriktiven Einbürgerungsgesetzen, die es für viele Menschen, auch für jene, die in Österreich geboren sind, fast unmöglich mache. „Viele scheitern an einem viel zu hoch angesetzten Mindesteinkommen, das man vorweisen muss“, erklärt Pollack und attestiert dem Gesetz Realitätsferne: „Wären Staatsbürger von dieser Regelung des Mindesteinkommens auch betroffen, müsste man einen großen Teil der Österreicher ausbürgern.“

Für eine Änderung des Wahlrechtsgesetzes hat Pollack keine großen Hoffnungen, da es dafür eine Verfassungsänderung bedürfe, die nur von einer Zweidrittelmehrheit im Parlament beschlossen werden kann. „Einen solchen Vorstoß würden FPÖ und ÖVP wahrscheinlich blockieren.“

Ein einfacherer Hebel wäre eine Änderung des Einbürgerungsgesetzes. Das hält Pollack für wahrscheinlicher: „Es könnte wieder ein Schritt in Richtung Realitätsnähe getan werden, gab es doch in den vergangenen 30 Jahren mehr als 20 Änderungen im Einbürgerungsgesetz."

15 Wahllokale für Nicht-Österreicher in ganz Österreich

Indessen wächst die Anerkennung für die Pass-Egal-Wahl. Mit SPÖ, Neos, Grünen, KPÖ und Wandel entsenden gleich fünf wahlwerbende Parteien Beisitzer für das Hauptwahllokal am Minoritenplatz, Wien-Innere Stadt.

Neben dem Zelt in Wien,  das als Hauptwahllokal fungiert, gibt es noch 14 weitere Wahllokale in allen neun Bundesländern. Von Pinkafeld bis Dornbirn können Nicht-Österreicher ihre Stimme für die abgeben, die sie wählen würden, wenn sie dürften.

 

Nationalratswahl: 1,2 Millionen "stumme" Stimmen

Unter den Teilnehmern finden sich auch einige Prominente. Zum Beispiel der aus Deutschland stammende ORF-Moderator Dirk Stermann. Für sein Engagement für "Pass-egal"-Wahl erntete er jüngst einen massiven Shitstorm im Netz. Stermann lebt seit über 30 Jahren in Wien, darf hier aber nicht wählen. Ähnliches gilt für weitere rund 480.000 Menschen in Wien. Die Bundeshauptstadt steche besonders heraus, erklärt Alexander Pollack. Nicht nur betreffe es in Wien die meisten Menschen, die nicht wählen dürfen. Anders als in anderen Bundesländern dürfen Zuwanderer aus EU-Ländern hier auch bei der Gemeinderatswahl nicht mitwählen, weil sie gleichzeitig eine Landtagswahl ist. Die Bezirksvertretung in Wien dürfen EU-Bürger mitwählen.

Das Ergebnis wird um 22:30 Uhr am Minoritenplatz bekannt gegeben.

 

Diana Dauer

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