Michael Häupl: "Kurz war ein Sozialtechniker"

Michael Häupl: "Kurz war ein Sozialtechniker"
Vor vier Jahren verließ er die Politik, nun hat er seine Memoiren geschrieben. Häupl blickt zurück und verrät, warum Doskozil kein roter Spitzenkandidat ist. Mit Video.

KURIER: Herr Häupl, wie viel Spritzwein wurde getrunken, während der Erstehung des Buches  mit ihrem Autor Herbert Lackner?

Michael Häupl: Es wurde gar kein Spritzwein  getrunken. Denn Herbert Lackner und ich haben uns immer mittags getroffen. Seit  meinem langen Spitalsaufenthalt habe ich den Spritzwein sehr reduziert. 

Ihre Autobiografie heißt „Freundschaft“. Das ist ein  sozialdemokratischer Gruß,  steckt angesichts der Spaltung der Gesellschaft ein Appell dahinter?

Ungebetene Ratschläge will ich eigentlich nicht geben. Aber generell  macht mich der  momentane Umgang in der Politik und in der Gesellschaft nachdenklich.  Derzeit reicht der  Abbruch der Kommunikation bis in den innersten Kern der Familien. Das ist kein wünschenswerter Zustand.    

Sie wurden 1994 vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk in die Politik „einberufen“. Bei Ihrer ersten Wahl 1996 verloren Sie  die absolute Mehrheit  und stürzten auf 39 Prozent ab. Würde so eine Niederlage  heute ein Politiker noch überleben?

Das war damals auch nicht leicht. Es waren sich  damals die meisten einig, dass es  keine Führungsdiskussion geben soll, sondern eine Diskussion über  den Weg, wie wir mit den Rechtspopulisten umgehen. Was setzt man dem entgegen? Starten wir eine Wertediskussion  oder  stellen wir  wieder die Arbeiterklasse in den Fokus, obwohl damals keiner gewusste, was damit überhaupt gemeint sein soll. 

Michael Häupl und Herbert Lackner zu Gast im Checkpoint bei Ida Metzger

Ein  Mittel gegen die Rechtspopulisten hat die SPÖ bis heute nicht gefunden ...

Jörg Haider war ungefähr vier Monate jünger als ich. Er war Vorsitzender des Rings Freiheitlicher Jugend und ich war  Vorsitzender der sozialistischen Studenten. Mit Jörg Haider habe ich mein ganzes Leben  heftigste politische Diskussionen. Ich war zutiefst davon überzeugt, dass man  mit  einer inhaltlichen Auseinandersetzung  in den Köpfen und bei den Emotionen der Menschen gewinnen kann. Bei Haider war das auch der richtige Weg.  Die Auseinandersetzung hatten meistens, bei Weitem nicht immer, ein gewisses Niveau gehabt. Das hat sich später geändert. Mangels Intellektualität des Widerparts fällt die Auseinandersetzung schwer. Denn wer  Pferdeentwurmungsmittel als Medikament gegen Covid-19 propagiert, ist  nicht ernst zu nehmen.   Außerdem stelle ich fest, dass die  sehr ruhige,  zurückhaltende, sehr bedächtige, aber sehr konsequente Art von Michael Ludwig  gegenüber den Rechtspopulisten durchaus erfolgreich ist. Da darf man sich durch die Demonstrationen in Wien, wo viele Menschen aus den Bundesländern zusammenkommen,  nicht täuschen lassen. Die Umfragen für die SPÖ in Wien  sind weitaus besser als das Wahlergebnis der letzten Gemeinderatswahlen. 

Als Sie von der  politischen Bühne abtraten, gab es eine Abstimmung über Ihre Nachfolge. Wäre das nicht ein gangbarer Weg, um zu entscheiden, wer  der nächste SPÖ-Spitzenkandidat  werden soll?

In Wien ist die Tradition des Erbhofs nicht so verankert, wie sie das am Land ist. Nicht jede Diskussion ist Streit. Die Wahl und der Wettkampf liefen damals sehr reif und vernünftig ab, sonst würde die Wiener SPÖ heute nicht  geeint dastehen. Zur Bundesebene:  Aus meiner Sicht  stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Hans-Peter  Doskozil hat wiederholt gesagt, er will im Burgenland bleiben. Er kennt auch seine persönliche Situation.  Die Stimme ist nicht irgendein kleines Problem. Die Stimme ist das Werkzeug des Politikers.  Ich bewundere es,   wie er mit  dem Problem umgeht. Ich  sehe keine Schwierigkeit, dass der  Landeshauptmann gelegentlich Dinge anders sieht als die Parteispitze. Das habe ich für mich auch in Anspruch genommen.

Wo orten Sie den Grund, dass die SPÖ trotz ÖVP-Krise davon nicht profitiert? 

Die SPÖ muss sehr viel stärker ihre Kernkompetenz in die Diskussion einbringen. Denn die Pandemie ist natürlich in allererster Linie eine gesundheitspolitische Frage. Sie ist genauso eine Ökonomische. Sie ist  eine soziale Katastrophe erster Güte.  Die  Kernkompetenz wäre genau in diesen Punkten  einzubringen. Denn  die Spaltung zwischen Arm und Reich ist in der Pandemie  rapid schneller angewachsen, als das vorher der Fall war. Es ist schon richtig, dass  man – insbesondere wenn man eine Bundesvorsitzende hat, die Ärztin ist – sich  um die gesundheitlichen Aspekte  kümmert. Zusätzlich man muss die   sozialen Themen  noch sehr viel deutlicher herausstreichen. 

Alfred Gusenbauer sagt man nach, dass er hochintellektuell ist, aber zu wenig Empathie hat. Auch Sebastian Kurz wird  Kaltherzigkeit nachgesagt. Welche Attribute braucht ein Kanzler?

Alfred Gusenbauer ist ein hochintellektueller Mensch.  Wie ein so hochpolitischer Mensch auf die Idee kam, Studiengebühren einzuführen und sich dann wunderte, dass   Studentenorganisation dagegen Sturm  laufen, habe ich nicht verstanden. Kurz ist so ziemlich das Gegenteil. Er war ein Sozialtechniker. 

Was verstehen Sie darunter?

Er hat keine Empathie. Er konnte den Leuten nur vorgaukeln, dass er sie mag und auf sie zugeht.  Aber mehr steckte nicht dahinter. 

Michael Häupl & Herbert Lackner: „Freundschaft“. Brandstätter-Verlag. 207 Seiten. 24 Euro

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