Sie wurden 1994 vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk in die Politik „einberufen“. Bei Ihrer ersten Wahl 1996 verloren Sie die absolute Mehrheit und stürzten auf 39 Prozent ab. Würde so eine Niederlage heute ein Politiker noch überleben?
Das war damals auch nicht leicht. Es waren sich damals die meisten einig, dass es keine Führungsdiskussion geben soll, sondern eine Diskussion über den Weg, wie wir mit den Rechtspopulisten umgehen. Was setzt man dem entgegen? Starten wir eine Wertediskussion oder stellen wir wieder die Arbeiterklasse in den Fokus, obwohl damals keiner gewusste, was damit überhaupt gemeint sein soll.
Ein Mittel gegen die Rechtspopulisten hat die SPÖ bis heute nicht gefunden ...
Jörg Haider war ungefähr vier Monate jünger als ich. Er war Vorsitzender des Rings Freiheitlicher Jugend und ich war Vorsitzender der sozialistischen Studenten. Mit Jörg Haider habe ich mein ganzes Leben heftigste politische Diskussionen. Ich war zutiefst davon überzeugt, dass man mit einer inhaltlichen Auseinandersetzung in den Köpfen und bei den Emotionen der Menschen gewinnen kann. Bei Haider war das auch der richtige Weg. Die Auseinandersetzung hatten meistens, bei Weitem nicht immer, ein gewisses Niveau gehabt. Das hat sich später geändert. Mangels Intellektualität des Widerparts fällt die Auseinandersetzung schwer. Denn wer Pferdeentwurmungsmittel als Medikament gegen Covid-19 propagiert, ist nicht ernst zu nehmen. Außerdem stelle ich fest, dass die sehr ruhige, zurückhaltende, sehr bedächtige, aber sehr konsequente Art von Michael Ludwig gegenüber den Rechtspopulisten durchaus erfolgreich ist. Da darf man sich durch die Demonstrationen in Wien, wo viele Menschen aus den Bundesländern zusammenkommen, nicht täuschen lassen. Die Umfragen für die SPÖ in Wien sind weitaus besser als das Wahlergebnis der letzten Gemeinderatswahlen.
Als Sie von der politischen Bühne abtraten, gab es eine Abstimmung über Ihre Nachfolge. Wäre das nicht ein gangbarer Weg, um zu entscheiden, wer der nächste SPÖ-Spitzenkandidat werden soll?
In Wien ist die Tradition des Erbhofs nicht so verankert, wie sie das am Land ist. Nicht jede Diskussion ist Streit. Die Wahl und der Wettkampf liefen damals sehr reif und vernünftig ab, sonst würde die Wiener SPÖ heute nicht geeint dastehen. Zur Bundesebene: Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage überhaupt nicht. Hans-Peter Doskozil hat wiederholt gesagt, er will im Burgenland bleiben. Er kennt auch seine persönliche Situation. Die Stimme ist nicht irgendein kleines Problem. Die Stimme ist das Werkzeug des Politikers. Ich bewundere es, wie er mit dem Problem umgeht. Ich sehe keine Schwierigkeit, dass der Landeshauptmann gelegentlich Dinge anders sieht als die Parteispitze. Das habe ich für mich auch in Anspruch genommen.
Wo orten Sie den Grund, dass die SPÖ trotz ÖVP-Krise davon nicht profitiert?
Die SPÖ muss sehr viel stärker ihre Kernkompetenz in die Diskussion einbringen. Denn die Pandemie ist natürlich in allererster Linie eine gesundheitspolitische Frage. Sie ist genauso eine Ökonomische. Sie ist eine soziale Katastrophe erster Güte. Die Kernkompetenz wäre genau in diesen Punkten einzubringen. Denn die Spaltung zwischen Arm und Reich ist in der Pandemie rapid schneller angewachsen, als das vorher der Fall war. Es ist schon richtig, dass man – insbesondere wenn man eine Bundesvorsitzende hat, die Ärztin ist – sich um die gesundheitlichen Aspekte kümmert. Zusätzlich man muss die sozialen Themen noch sehr viel deutlicher herausstreichen.
Alfred Gusenbauer sagt man nach, dass er hochintellektuell ist, aber zu wenig Empathie hat. Auch Sebastian Kurz wird Kaltherzigkeit nachgesagt. Welche Attribute braucht ein Kanzler?
Alfred Gusenbauer ist ein hochintellektueller Mensch. Wie ein so hochpolitischer Mensch auf die Idee kam, Studiengebühren einzuführen und sich dann wunderte, dass Studentenorganisation dagegen Sturm laufen, habe ich nicht verstanden. Kurz ist so ziemlich das Gegenteil. Er war ein Sozialtechniker.
Was verstehen Sie darunter?
Er hat keine Empathie. Er konnte den Leuten nur vorgaukeln, dass er sie mag und auf sie zugeht. Aber mehr steckte nicht dahinter.
Michael Häupl & Herbert Lackner: „Freundschaft“. Brandstätter-Verlag. 207 Seiten. 24 Euro
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