Mediziner verpflichten: Warum die SPÖ-Idee umsetzbar, aber gefährlich ist

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EU-Experte Walter Obwexer warnt die Politik, dass eine Änderung die geltende Quotenregelung zu Fall bringen könnte.

„Wenn wir als Gesellschaft jungen Menschen jahrelang eine Ausbildung finanzieren, die von Steuergeld bezahlt wird, dann ist es nur gerecht, dass sie nach dem Studium auch eine Zeit lang im öffentlichen Gesundheitssystem arbeiten. Nicht als Strafe. Sondern als Beitrag“, fordert Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler. Ähnlich formulierte es zuvor SPÖ-Wissenschaftsministerin Eva-Maria Holzleitner.

Babler ergänzte seine Idee: Wer sich „für einige Jahre“ verpflichtet, als Kassenarzt zu arbeiten, solle bei der Bewerbung um einen Studienplatz vorgereiht werden. Die Idee eines „Bonus beim Auswahlverfahren“ bei freiwilliger Verpflichtung ist im aktuellen Regierungsprogramm niedergeschrieben – die Koalitionspartner ÖVP und Neos tragen das also mit.

Offen ist die rechtliche Tangente – ist das EU-rechtlich überhaupt erlaubt?

Die Antwort mag verwundern, ist aber ein klares Ja, bestätigt der EU-Rechtsexperte von der Uni Innsbruck, Walter Obwexer: „Ein EU-Mitgliedsland darf von Medizinstudenten einen Solidarbeitrag verlangen, also etwa Studiengebühren oder eine verpflichtende Tätigkeit im Gesundheitssystem.“

Gefahr für Quotenregelung

Der Innsbrucker Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät warnt aber davor, hier die Büchse der Pandora zu öffnen: Österreich hat quasi eine Ausnahme beim Medizinstudium, 75 Prozent der begrenzten Studienplätze sind Inhabern eines Maturazeugnisses vorbehalten. Die EU-Kommission hatte deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich gestartet, da der Zugang zur Bildung in der EU gleichgesetzt wird mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt – es dürfen also EU-Ausländer nicht benachteiligt werden. Österreich hat die Regelung mit dem Schutz des Gesundheitssystems verteidigt, die EU hat das akzeptiert.

„Aber ich sehe schon die große Gefahr, dass die Quotenregelung kippt, wenn Österreich beim Studienzugang grundlegend etwas ändert, etwa durch die Vorreihung beim Aufnahmetest. Die EU-Kommission könnte dann erneut ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einleiten“, sagt der Rechtsexperte zum KURIER.

Kommt so eine Vorreihung für Studierende, die sich verpflichten, eine gewisse Zeit im österreichischen Gesundheitssystem zu arbeiten, wäre das laut Obwexer das Eingeständnis, dass die geltende Quotenregelung nicht (mehr) geeignet ist, das Gesundheitssystem abzusichern. Er erinnert daran, dass es längst zusätzlich gewidmete Studienplätze für „Aufgaben im öffentlichen Interesse“ gibt, etwa für das Heer.

Das Wissenschaftsministerium bestätigt, dass Gespräche geführt und an einer neuen Regelung gearbeitet werde. Man sei sich auch der Gefahr bewusst, dass die Quotenregelung kippen könnte.

Übrigens besteht keine Gefahr, dass demnächst Juristen oder andere Akademiker ebenfalls verpflichtet werden: „Beim Medizinstudium geht es um den Gesundheitsschutz, und der ist, so sagt das der Europäische Gerichtshof, jener Schutz mit dem höchsten Rang. Deswegen sind nur hier beschränkende Regelungen nicht verboten.“

Obwexer war nicht nur maßgeblich an der Legistik der österreichischen Quotenregelung beteiligt, er hat auch für Südtirol eine eigene Regelung erarbeitet: Südtirol vergibt Stipendien an jene, die sich verpflichten, danach eine gewisse Zeit dort zu arbeiten. Eine Südtiroler Medizinabsolventin hatte sich kürzlich trotz Stipendiums geweigert, ihren Arbeitsplatz in Vorarlberg aufzugeben, das bis zum EuGH durchgefochten – und verloren, sagt Obwexer. Sie musste das Stipendium zurückzahlen.

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