Mayer in ORF-Talk: Reines Expertenkabinett wäre Hochrisikoprojekt

PK "CAUSA ALIYEV: DIE KONSEQUENZEN DER AKTUELLEN GERICHTSBESCHLÜSSE": MAYER
Österreich dürfte das nächste halbe Jahr von einer Übergangsregierung regiert werden. Am "Runden Tisch" wurden Pro und Kontra diskutiert.

Die Veröffentlichung des verhängnisvollen Ibiza-Videos hat in Österreich eine politische Kettenreaktion ausgelöst: Unter anderem verkündeten Vzeikanzler Heinz-Christian Strache und Klubchef Johann Gudenus (beider FPÖ) ihren Rücktritt, FPÖ-Innenminister Herbert Kickl wurde auf Wunsch von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus der Regierung entlassen, was alle anderen blauen Minister veranlasste, ebenso Adieu zu sagen.

Eine Übergangsregierung soll nun die Staatsgeschicke bis zur Nationalratswahl im Herbst lenken. Um 13 Uhr soll am Mittwoch Bundespräsident Alexander Van der Bellen die neue Übergangsregierung angeloben. Anstelle der ausgetretenen FPÖ-Minister sollen Experten rücken. 

Was ist von einer Expertenregierung zu halten und was ist von ihr zu erwarten? Das diskutierten die ehemalige ÖVP-Politikerin Maria Rauch-Kallat, die ehemalige dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt, IFES-Meinungsforscherin Eva Zeglovits, Verfassungsjurist Heinz Mayer und Politikwissenschafter Peter Filzmaier am Runden Tisch im ORF.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Expertenregierung für keinen der teilnehmenden Diskutanten ein Untergang für das Land darstellt. "Einzelne Experten sind kein Problem", so Heinz Mayer. Aber ein reines Expertenkabinett, wie es etwa die SPÖ derzeit fordert, sieht Mayer als "Hochrisikoprojekt", vor allem politisch. Denn schließlich müssten die Experten in einer Zeit regieren, in der Wahlkampf herrscht. Und auch, wenn die Experten von der Materie viel Ahnung hätten, politisch seien die meisten wohl unerfahren und das sei ein Risiko.

Die österreichische Verfassung bezeichnete der Verfassungsexperte jedoch als gute Basis, die Situation zu bewältigen, stelle sie doch ein sehr ausgeklügeltes System der Machtverteilung und Kontrolle dar.

Eine Alternative zur Expertenregierung wäre laut Mayer eine Konzentrationsregierung, in der alle Parteien im Parlament vertreten sind. Allzu viele Entscheidungen seien dabei nicht zu erwarten, aber es würde eine einigermaßen stabile Regierung ergeben.

Heide Schmidt

Heide Schmidt ist der Meinung, dass die Expertenregierung sogar belebend für eine Demokratie sein kann. So könnten "theoretisch" auch "Vorlagen, die jetzt in der Begutachtung sind, von einem Nicht-Politiker durchaus, gestützt auf eine Parlamentsmehrheit, adaptiert werden.“ Filzmaier konkretisiert: "Warum soll nicht ein neuer Gesundheitsminister doch nochmal darüber nachdenken, ob die Aufhebung des Rauchverbotes eine gute Idee ist? Das würde ja nicht die Grundfesten der Demokratie erschüttern, das ist Demokratie.“

Filzmaier: Minderheitsregierung nichts Besonderes

Filzmaier kann als Wissenschaftler eine Regierung, die um Experten ergänzt wird, "per se nicht schrecklich finden". "Politisch mag man einwerfen, dass es sich um eine verkappte Minderheitsregierung von Sebastian Kurz handeln könnte – nur angereichert um Experten". Doch selbst darin ortet Filzmaier kein Problem, schließlich würden in Europa in rund einem Drittel der Länder Minderheitsregierungen walten, wenn auch in anderem Zusammenhang.

Sorgen machen würde er sich über eine gegenseitige Hochlizitierung bei Gesetzesbeschlüssen im Parlament, um vermeintliche Wohltaten auszuschütten, die in Wahrheit den Steuerzahler Geld kosten und erinnerte an die "legendäre" Nacht im Wahlkampf 2008, die am Ende 20 Milliarden Euro schwer gewesen sei.

PK "ANTISEMITISMUSSTUDIE": ZEGLOVITS

Bedenken äußert Filzmaier hinlänglich der Politikverdrossenheit der Menschen. Sie könnte weiter zunehmen. Auch Meinungsforscherin Zeglovits sieht die große Gefahr darin, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem politischen System an sich steigen könnte: "Politiker haben ein schlechtes Image in Österreich. Ich glaub nicht, dass die Österreicher ein Problem damit haben, dass man Experten in die Regierung setzt. Spannend dabei: Es sind ja auch in der amtierenden Regierung viele dabei, die als Experten in die Regierung geholt worden sind, die auch nicht auf jahrzehntelange Erfahrung in der Politik zurückgreifen konnten."

"Wesentlich ist, dass das Parlament funktioniert"

Wovor sie warnt: "Die Menschen wollen sicher keine Regierung bei der man jede Woche Angst haben muss, dass irgendein Minister hinausfliegt oder ein Misstrauensvotum kommt. Menschen haben das Bedürfnis, dass Politik in ihrem Sinne Dinge zum Besseren verändern kann."

Maria Rauch-Kallat erwartet von einer eventuellen Experten-Übergangsregierung keine großen politischen Projekte. Bis zum Herbst seien solche ja kaum umsetzbar. Auch von den verbleibenden politischen Ministern seien keine allzu großen Veränderungen – auch personeller Natur – zu erwarten."Das Wesentliche ist, dass das Parlament funktioniert."

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Ansonsten glaubt die ÖVP-Politikerin, dass Politiker besser mit gewissen Mechanismen vertraut sind als reine Experten und weist darauf hin, dass die Übergangsregierung ja nicht nur in Österreich die Geschäfte am Laufen zu halten habe, sondern auch in der Europäischen Union. Heide Schmidt relativiert: Es gebe ja auch immer wieder Politiker, die zum ersten Mal ohne Erfahrung nach Brüssel gingen.

"Misstrauensantrag ist nichts Dramatisches"

Kurz ging man noch auf einen eventuellen Misstrauensantrag gegen Kanzler Kurz eing: Heide Schmidt ortet einen großen Fehler in Kurz´ Demokratieverständnis, weil er es verabsäumt habe, in Gesprächen mit der Opposition im Vorfeld schon eine Zustimmung zur Expertenregierung einzuholen. Filzmaier: "Der Misstrauensantrag ist ja nichts Dramatisches. Eine Mehrheit der gewählten politischen Vertreter ist mit ihm nicht mehr einverstanden." Er zieht einen Vergleich mit den USA, wo ein Amtsenthebungsverfahren nur bei schwerwiegenden Vergehen, wie Landesverrat, Bestechlichkeit im Amt oder Landesverbrechen, vorgesehen ist.

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