Matznetter verteidigt Babler: "Die SPÖ hat kein Führerprinzip"

Im Kampf gegen die Teuerung will die SPÖ „leistbares Leben“ in der Verfassung verankern. Die Idee ist sogar intern umstritten. Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter kontert den Kritikern.
KURIER: Als die ÖVP das Bargeld in der Verfassung verankern wollte, hat die SPÖ dies als „plumpen Populismus“ kritisiert. Warum soll das beim Staatsziel „leistbares Leben“ anders sein?
Christoph Matznetter: Wir haben das damals kritisiert, weil wir das Bargeld lieber in den Brieftaschen der Menschen als in der Verfassung haben wollten.
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Aber warum ist Ihr Vorschlag kein Populismus?
Es geht darum, wie das Wirtschaftssystem gestaltet ist, um einen Auftrag, den dann jede Regierung einzuhalten hat. Wir haben jetzt schon eine Reihe solcher Aufträge im Verfassungsrang, etwa den Tierschutz und die Emissionen, oder etwa die Maastricht-Kriterien, die im EU-Primärrecht verankert sind. Wenn wir leistbares Leben als Staatsziel definieren, bewegen wir uns auf einer gesicherten Basis. Es ist bereits in vielen Verfassungen verankert, zum Beispiel in der Schweiz.
Eine Verankerung solcher Dinge in der Verfassung garantiert aber noch nicht, dass sie auch tatsächlich umgesetzt werden.
Werden Dinge als Staatsziel definiert, muss sich eine Regierung rechtfertigen, wenn sie nicht oder unzureichend handelt. Es wird der gesellschaftliche Diskurs verstärkt. Gerade beim Tierschutz haben wir in den vergangenen zwei Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Ich denke, dass nicht nur die Tiere zu schützen sind, sondern auch die Menschen.
Sie nennen die Schweiz als Beispiel. Wie haben sich die dortigen Regelungen in der Praxis ausgewirkt?
In Artikel 41 der Bundesverfassung setzen sich Bund und Kantone unter anderem dafür ein, dass jede Person an der sozialen Sicherheit teilhat oder eine Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden kann. In der Praxis führt das dazu, dass Mieten um maximal 40 Prozent des Verbraucherpreisindex angehoben werden können. In der Energiewirtschaft haben sich die Preise an den Herstellungskosten zu orientieren und nicht am möglichen Gewinn. Mit dem Effekt, dass die Schweizer Inflation der vergangenen eineinhalb Jahre nur einen Bruchteil von unserer ausmachte.
Sogar Ihr Parteikollege, der Linzer Bürgermeister Klaus Luger, spricht von einem Missbrauch der Verfassung.
Ich schätze Luger als Bürgermeister. Als Wirtschaftswissenschafter oder Verfassungsexperte ist er aber noch nicht in Erscheinung getreten. Mit dem Vorschlag stehen wir auf der Seite der wichtigsten wirtschaftswissenschaftlichen Denker. Die Marktwirtschaft braucht eine Regulierung. Ziel darf nicht die Wirtschaft an sich sein, sondern muss Partizipation am allgemeinen Wohlstand sein.
Laut Leitantrag soll der Staat garantieren, dass Preise für Lebensmittel, Wohnen und Energie pro Jahr maximal zwei Prozent ansteigen dürfen. Reiche würden davon auch profitieren. Wo bleibt die soziale Treffsicherheit?
Je höher die Inflation ist, desto mehr steigt der Druck auf die ärmeren Menschen, weil die fast ihr gesamtes Einkommen für Essen, Miete und Energie ausgeben. Die Zinshausbesitzer werden sich in Zukunft mit zwei Prozent Mietsteigerungen zufrieden geben müssen. Die Energiekonzerne werden nicht in Milliarden Übergewinne schwimmen.
Zur Person
Der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Christoph Matznetter (64) ist Wirtschaftssprecher im SPÖ-Parlamentsklub und Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands. 2007 bis 2008 war er Staatssekretär im Finanzministerium
Parteitag
Beim Bundesparteitag in Graz (11. und 12. November) will die SPÖ einen „Masterplan gegen die Teuerung“ beschließen. Teil der Forderungen ist die Verankerung eines „leistbaren Lebens“ als Staatsziel in der Verfassung. Hinzu kommen als Sofortmaßnahmen unter anderem ein Einfrieren der Mieten und ein temporäres Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
Die Debatte zeigt erneut, dass die SPÖ-Spitze keinen Vorschlag machen kann, ohne intern auf Widerstand zu stoßen. Was sagt das über den Zustand der Partei aus? Ein Führerprinzip wird die SPÖ nicht haben. Natürlich würde nach den unsäglichen internen Debatten eine Beruhigung guttun. Eine Grabesruhe im Sinne, dass keiner seine Meinung sagen darf, wird es aber nicht geben.
Mit der Folge, dass keiner weiß, wofür die SPÖ steht.
Da wäre der demokratische Zentralismus vernünftiger. Also dass sich alle an eine Entscheidung halten, wenn sie gefallen ist.
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