Wo bleibt der Mut, zu gestalten?

Glaubt man den Berechnungen der Wiener SPÖ, dann hat sie mit ihren Maßnahmen seit Wochenbeginn rund 400 Millionen Euro für die Stadtkassa eingetrieben. Michael Ludwig und seine Stadträtinnen reichen zum Schulstart den Klingelbeutel unter Wienerinnen und Wienern umher.
Angesichts des Budgetlochs ist das wohl alternativlos. Problematisch ist, dass die Regierenden – ja, die Koalition im Bund darf sich mitgemeint fühlen – in ihrer neuen Sparsamkeit auf eine ihrer vordringlichsten Aufgaben vergessen: Sie wurden gewählt, um zu gestalten. Ihre Politik sollte dazu angetan sein, Lenkungseffekte zu entfalten. Davon spürt man beim derzeitigen Klein-Klein wenig.
Bestes Beispiel sind die Tariferhöhungen, die die SPÖ zu Wochenbeginn (unter lautem Schweigen des Koalitionspartners, der Neos) verkündete – weil sie nach der Wahl zwar plötzlich erkannte, dass die Inflation vor dem Roten Wien nicht halt macht, zugleich aber ihr politisches Ziel, zur Klimahauptstadt zu werden, verriet: Statt die Öffi-Nutzer für klimaschonendes Handeln zu belohnen, erhöht sie die Preise für Jahreskarten und Einzelfahrscheine empfindlich.
Und statt die Nutzung des Autos in der (Innen-)Stadt weniger attraktiv zu gestalten, um Menschen zum Umstieg zu bewegen, bleiben die Kosten für Parkpickerl und Parktickets so lächerlich niedrig, dass selbst die Anhänger des motorisierten Individualverkehrs hinter vorgehaltener Hand kichern. 13 Euro kostet das Pickerl im Monat – um das gleiche Geld gehen sich nicht einmal mehr fünf Einzelfahrten mit den Öffis aus. Man habe alle Beträge um denselben Prozentsatz angehoben, rechnet die SPÖ vor. Alle gleich zu behandeln, zeugt nicht nur von mangelndem Gestaltungswillen, sondern sorgt auch noch lange nicht für Gerechtigkeit. Das sollten Sozialdemokraten wissen.
Reform der Mindestsicherung
Mit der Reform der Mindestsicherung setzt Ludwig (erneut begleitet von pinkem Schweigen) den nächsten Schritt. Auch dieser fällt (noch) zu klein aus. 75 Millionen Euro soll etwa die Neuregelung für Wohngemeinschaften von Beziehern, die nicht verwandt sind, einsparen. Sie werden künftig nicht mehr Geld erhalten als Familien, die von Mindestsicherung leben. Dafür muss man Ludwig nicht loben – der Skandal ist, dass es bisher anders war. Echte Anreize, Menschen in die Erwerbstätigkeit zu holen, sehen aber anders aus. (Ja, die erweiterte Kindergartenpflicht, die Müttern Erwerbstätigkeit ermöglichen und Integration erleichtern soll, geht in die richtige Richtung.)
Auf KURIER-Nachfrage war aus Ludwigs Büro zu hören, dass weitere Anpassungen bei der Mindestsicherung folgen werden; dabei will er wohl auch den Bund in die Pflicht nehmen. Bleibt zu hoffen, dass er dort (ganz im Sinne der zuletzt paktierten „Reformpartnerschaft“) auch auf offene Ohren stößt – und man sich gemeinsam darauf verständigt, zu gestalten, statt bloß Geld einzutreiben.
Kommentare