Krisensicherheitsgesetz: Verfassungsexperten decken Patzer auf

Das Bundeskanzleramt in Wien mit der österreichischen und der EU-Flagge davor.
Was ist eine "Krise", was ist ein "Unglück"? Wessen "wirtschaftliche Interessen" gilt es zu schützen? Und sollte die Krise nicht auch im Internet kundgemacht werden? Experten im Kanzleramt fordern Klarstellungen.

Heute, Donnerstag, endet die Begutachtungsfrist für das Krisensicherheitsgesetz. Zum Entwurf, den das Innenministerium im Jänner vorgelegt hat, gab es mehr als 10.000 Stellungnahmen. Ins Auge sticht dabei besonders eine: die des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt.

Zwar haben die Juristen, die (nebenbei bemerkt) im selben Gebäude sitzen wie der Bundeskanzler, prinzipiell nichts gegen das Gesetz einzuwenden und es gibt auch keine gröberen verfassungsrechtlichen Bedenken. Regelrecht zerpflückt werden von den Juristen aber einzelne Patzer bei den Definitionen und Formulierungen.

Manches mag wirken wie eine Spitzfindigkeit, im Krisenfall sind klare Regeln aber wohl besser als schwammige - das macht die Stellungnahme auf ihren 26 Seiten deutlich. Und das an manchen Stellen mit einem Augenzwinkern.

Hier einige Beispiele:

  • Krise, Elementarereignis oder Unglücksfall?

Wann haben wir eine "Krise", ein "Elementarereignis" oder einen "Unglücksfall außergewöhnlichen Umfanges"? Das sei nicht abschließend klar, schreibt der Verfassungsdienst.

Auch die gesetzliche Konstruktion, wie die Bundesregierung im Zusammenwirken mit dem Hauptausschuss des Nationalrats "das Vorliegen einer Krise" feststellen und entsprechende Maßnahmen daran knüpfen soll, erschließt sich den Experten nicht.

  • Wessen Gesundheit zählt?

Eine "Krise" ausgerufen werden kann dann, wenn "das Leben und die Gesundheit der Allgemeinheit" gefährdet sind. Welches Schutzgut ist nun aber genau adressiert? Unklar sei, ob die Gesamtbevölkerung oder nur Teile davon - etwa bestimmte Altersgruppen oder vulnerable Gruppen - gemeint seien.

  • Wenn Gefahr zur Gewohnheit wird

In den Erläuterungen steht, dass eine "für längere Zeit andauernde Gefahr" ein Indiz für eine "Gefahr außergewöhnlichen Ausmaßes" sei. Der Verfassungsdienst weist darauf hin, dass bei einer Gefahr, die über einen längeren Zeitraum besteht, eine Gewohnheit eintreten könne - und sie dann nicht mehr "außergewöhnlich" sei.

  • "Wirtschaftliches Wohl" - von wem?

Eine "Krise" könne auch bestehen, wenn das "wirtschaftliche Wohl" gefährdet sei. Aber von wem? Laut Verfassungsdienst muss klargestellt werden, dass es nicht auf partikulare Interessen - also das Wohl einzelner Unternehmen oder Branchen - sondern auf das "wirtschaftliche Wohl der Republik" ankomme.

  • "Krise" im Internet kundtun

Der Verfassungsdienst weist darauf hin, dass man eine Krise auch im Internet kundmachen sollte und nicht nur "im Rundfunk oder Fernsehen". Diese Option ist zwar in den Erläuterungen genannt, sollte aber auch im Gesetzestext stehen - inklusive Adresse der Website, wird angeregt.

Abgesehen davon schließe der Begriff "Rundfunk" das Fernsehen bereits ein, wird angemerkt. Besser wäre der Begriff "Hörfunk", wenn man das Radio meint.

  • Kompetenzen des Regierungsberaters

Bei der Bestellung des Regierungsberaters und seines Stellvertreters werden im Gesetz keine "Mindestanforderungen an die fachliche Eignung" genannt, fällt dem Verfassungsdienst auf.

Zudem ist im Gesetz vorgesehen, dass der Regierungsberater dem Nationalrat für Auskünfte zur Verfügung stehen muss. Das gehe einfachgesetzlich aber nicht, allenfalls könnte der Bundeskanzler Rede und Antwort stehen. Angeregt wird eine Klarstellung.

  • Entscheidet das Koordinationsgremium mit?

Unklar sei, ob bei der Entscheidung, ob eine Krise vorliegt, eine Beratung der Bundesregierung durch das Koordinationsgremium zu erfolgen hat. Wenn das eine Voraussetzung ist, müsse man das ausdrücklich in den Gesetzestext schreiben.

Auch die Frage, inwieweit die Beratungen im Verordnungsakt dokumentiert werden, müsse geklärt werden. Der Verfassungsdienst verweist hier auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zum Thema Corona: Dieser hat bestimmt, dass der Gesundheitsminister transparent dokumentieren muss, warum er eine Verordnung erlassen hat.

  • Bundesheer darf vorsorgen, muss aber nicht

Laut Gesetzesentwurf soll das Bundesheer von der Regierung mit neuen Aufgaben betraut werden, beispielsweise der Vorsorge an Lebensmitteln oder technischem Gerät für den Krisenfall.

Eigentlich ist das Bundesheer für die Landesverteidigung zuständig, ansonsten helfen Soldaten im Rahmen von Assistenzeinsätzen, wenn die "zivile Gewalt" es nicht schafft, gewisse Leistungen zu erbringen. Will man dem Bundesheer neue, fixe Aufgaben zuweisen, dann braucht es dazu eine Verfassungsbestimmung, schreibt der Verfassungsdienst.

Allerdings: Das Bundesheer wäre zu solchen Maßnahmen nur "berechtigt", nicht "verpflichtet" - es liege also im Ermessen des Bundesheeres, ob es dem Auftrag der Regierung nachkommt oder nicht. Der Plan wird inhaltlich nicht bewertet, aber angemerkt, dass diese "Vorsorgemaßnahmen" im Wehrgesetz genannt bzw. aufgezählt und konkretisiert werden müssten.

Ebenso sollte klargestellt werden, dass das Bundesheer die Versorgungssicherheit der "österreichischen Bevölkerung" zu sicherzustellen hat, und nicht irgendeiner Bevölkerung.

  • Wie lange dauert die Krise?

Die Regierung kann die Krise per Verordnung ausrufen, nach "sechs Wochen" muss sie außer Kraft treten, steht im Gesetzestext. Der Verfassungsdienst regt an, ein "spätestens" hinzuzufügen - sonst würde die Verordnung ja mindestens sechs Wochen gelten.

  • Weitere Ungenauigkeiten

Wer sind "Betreiber kritischer Infrastrukturen"? Oder "weitere betroffene Bundesminister"? Ebenso unklar erscheint den Verfassungsjuristen der Begriff "Koordinationsstrukturen" und "leitendes Ressort".

Wie es dazu kam

Es stellt sich die Frage: Warum wurden diese Fehler nicht schon früher identifiziert und korrigiert? Die Experten des Verfassungsdienstes waren in Gespräche eingebunden, heißt es aus informierten Kreisen. Allerdings bekommen die Fachjuristen den kompletten Gesetzestext üblicherweise erst in der Begutachtungsphase zu Gesicht. Und die Begutachtungsphase ist ja dazu da, Details zu prüfen - auf Punkt und Beistrich. 

Die umfangreiche Kritik der Juristen könnte man also als Teil des Gesetzwerdungsprozess betrachten. Ernster sind da schon die inhaltlichen Bedenken, die vor allem von der Opposition, Ländern und Gemeinden geäußert wurden (mehr dazu siehe unten)

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