Fünf Jahre hat sie den Parlamentsklub der Grünen auf Kurs und damit in der Regierung gehalten. Jetzt muss die grüne Klubchefin Sigrid Maurer wieder in die Oppositionsrolle finden. Wie legt sie's an?
KURIER: Frau Maurer, Leonore Gewessler hat gesagt, sie muss nach dem Job als Energieministerin ihr Leben neu ordnen. Wie geht’ ihnen als Klubobfrau? Ordnen Sie sich auch gerade?
Sigrid Maurer: Ministerin sein ist noch einmal etwas Anderes, zumal Leonore und unsere Regierungsmitglieder bis zuletzt in einer Hybridfunktion – Ministerin und Abgeordnete – waren, die Ministerien mussten während der langen Verhandlungen ja weitergeführt werden. Jetzt sind wir einmal froh, dass die neue Regierung endlich ins Arbeiten kommt. Die Probleme sind groß genug.
Die Frage zielte auch darauf ab, wie Ihnen der Wechsel von der Regierung in die Oppositionsrolle gelingt.
Wir müssen uns neu aufstellen, das ist keine Frage. Aber Oppositionsarbeit liegt in unserer DNA, das fällt uns nicht schwer. Und der Klimaschutz ist und bleibt eines der zentralen Themen für uns - zumal diese Regierung da gerade die Abrissbirne schwingt und Politik gegen die Menschen macht.
Was meinen Sie?
Es ist den Grünen zu verdanken, dass in den vergangenen fünf Jahren extrem viele Maßnahmen gesetzt wurden, die den Menschen helfen, klimafreundlicher zu werden. Wir haben die Montage von PV-Anlagen und den Tausch von Heizkesseln gefördert, die Nachfrage war und ist enorm. Dass die neue Regierung diese Förderungen streicht, empfinde ich als Sauerei. Es gibt Zigtausende in Österreich, die sich eine PV-Anlage aufs Dach bauen und damit einen Beitrag für die Umwelt und ihr eigenes Geldbörserl leisten wollen. Denen zeigt man jetzt quasi den ausgestreckten Mittelfinger und sagt: „Euer Beitrag ist uns wurscht.“
Haben die Grünen die Bevölkerung vielleicht überfordert? Die Pandemie, die Teuerungskrise, dann noch der Krieg: Wer in dieser Situation ständig gesagt bekommt, „Kauf dir endlich ein eAuto“, der fühlt sich schnell überfordert.
Es ist vollkommen verständlich, dass die Leute mit der aktuellen Weltlage sehr belastet sind. Die Anzahl der Menschen, die Klimaförderungen in Anspruch genommen haben zeigt aber, dass ganz viele mitgemacht haben. Österreich hat jahrzehntelang geschlafen – wir hätten nicht noch länger warten können. Wir haben auch immer darauf geachtet, dass Klimaschutz sozial tragfähig ist. Sogar der Budgetdienst im Parlament hat nachgewiesen, dass der Klimabonus besonders sozial wirkt: Diejenigen, die wenig besitzen oder verdienen, profitieren am meisten.
Der Klimabonus wird dennoch fallen. Welche Maßnahme der Grünen war so gut, dass sie über Parteigrenzen hinweg auch weiter Bestand haben?
Das Klimaticket. In der Phase einer möglichen FPÖ-ÖVP-Regierung haben wir eine Petition für den Erhalt des Klimatickets gestartet, und die ist durch die Decke gegangen – über alle Parteigrenzen hinweg. Selbst die FPÖ musste irgendwann einräumen, dass das Klimaticket bleibt.
Abgesehen vom Umwelt-Thema: Wo sind andere Schwerpunkte, mit denen die Grünen in der Opposition reüssieren wollen?
Ein wesentlicher Aspekt ist die Bildungspolitik. Die haben sich zwar auch die Neos auf die Fahnen geschrieben, in Wien aber nicht geliefert. Im Regierungsprogramm stehen vor allem Überschriften. Und was konkret klingt, ist oft eine Fortführung von grünen Projekten.
Was zum Beispiel?
Der Chancenbonus. Also der Versuch, Schulen, die besonders schwierige Rahmenbedingungen haben, mit mehr Geld zu unterstützen. Die Kunst besteht nicht darin, das zu fordern. Die Kunst besteht darin, das auf den Boden zu bringen.
Der Bundesstaatsanwalt, der zwischen ÖVP und Grünen bis zuletzt nicht möglich war, wurde auf den Boden gebracht. Da waren die drei doch flott unterwegs...
Und warum? Weil Alma Zadić fünf Jahre das Feld aufbereitet hat. Auch die Kindergrundsicherung basiert auf den Vorarbeiten unseres Gesundheitsministers Johannes Rauch. Von der Überschrift im Programm allein ist den Menschen aber nicht geholfen. Da sage ich als Klubchefin einer früheren Regierungspartei: Sorry Leute, nach fünf Monaten Verhandeln müsstet ihr eigentlich am Tag der Angelobung wissen, wie ihr das eine oder andere angeht. Das gilt insbesondere für Bildungsminister Christoph Wiederkehr.
…Der Expertise als Wiener Bildungsstadtrat mitbringt…
…und der genau dort eine handfeste Bildungskrise hinterlässt! In Wien ist nichts besser geworden. Im Finanzausgleich wurde zusätzliches Geld für Schulsozialarbeiterinnen und vieles mehr zur Verfügung gestellt. Aber ich frage mich: Wo ist das Geld? Wo sind die Verbesserungen?
Wien ist keine Visitkarte für die pinke Bildungspolitik?
Überhaupt nicht! In den letzten fünf Jahren ist das Deutsch-Niveau gesunken, das Versprechen, dass jede Schule eine Sozialarbeiterin bekommt, wurde nicht gehalten. Und wer in Wien ein Kind mit Behinderung hat ist aufgeschmissen – weil man keinen Kindergarten-Platz bekommt.
Sie haben beim Regierungswechsel von einem „neuen Ton“ gesprochen, den die Grünen anschlagen wollen. Wie sieht der aus? Werden die Grünen lauter?
Beim Bildungsthema sicher – da hab ich selbst als Sprecherin auch Verantwortung. Es geht darum, ob diese Regierung bei den Überschriften des Regierungsprogrammes bleibt, oder ob Taten gesetzt werden. Bei Verbesserungen sind wir Grüne immer dabei.
Sie wollen hart, aber konstruktiv sein. Wie konstruktiv ist es, wenn Sie eine Maßnahme, die alle Experten für klug halten – das Handyverbot in Schulen – als „Scheinpolitik“ verunglimpfen?
Wir haben die Maßnahme an sich nicht kritisiert. Aber wenn 80 Prozent der Schulen ein Handyverbot haben, muss man in Zweifel ziehen, ob das der große Wurf ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich wünsche Christoph Wiederkehr alles Gute, aber: Er muss jetzt liefern. Im Übrigen ist das Regierungsprogramm weniger wichtig als gedacht. Wir hatten beispielsweise im Regierungsprogramm kein Pfandsystem stehen, und Leonore Gewessler hat es dennoch umgesetzt, weil sie beharrlich war.
Und dennoch hat man das Gefühl, dass Klima- und Umweltschutz mittlerweile ein deutlich negativeres Image haben als vor fünf Jahren.
Das stimmt so nicht. Die Leute kaufen ja das Klimaticket, sie fahren mit dem Zug, trennen Müll, sammeln Pfand und bauen sich PV-Anlagen aufs Dach. Wenn sie dabei aber gehindert statt unterstützt werden, kann sich das ändern.
Warum fliegen die Grünen dann aus Landesregierungen und haben im Bundesrat so wenige Abgeordnete, dass sie kein Klub mehr sind? Haben die Grünen am Land nicht ein evidentes Problem?
Die Krisenhaftigkeit und die gesamte Weltsituation lösen riesige Sorgen aus. Und wir haben bei der Wahl viele Wähler an die Sozialdemokratie verloren. Aber Herzen sind zurückgewinnbar – und es ist unsere Aufgabe besser und attraktiver zu werden.
Abschließende Frage: Die Grünen werden sich im Juni neu aufstellen. Wer wird Parteichef?
Wir haben viele gute Leute und das werden wir gemeinsam rechtzeitig entscheiden.
Wollen Sie Parteichefin werden?
Ich hab schon öfter gesagt, mein Herz gehört dem Parlamentsklub.
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