Testlabor Neubau
Als „Testlabor für modernes urbanes Leben“ bezeichnet Tarek Leitner seinen Heimatbezirk in dem opulenten Band, den der „Zeit im Bild“-Moderator vor drei Jahren herausgegeben hat („Im Siebten“). Weniger wohlwollende Zeitgenossen nennen den Bezirk spöttisch „Bobohausen“ oder „Bobostan“ – wegen der vielen Bobos („Bourgeois Bohemiens“), die in luftig eingerichteten Büros Start-up-Firmen gründen und anschließend in einem der unzähligen Schanigärten Hafer-Chai-Latte trinken.
„Wir sind ein sehr diverser Bezirk“, sagt Bezirksvorsteher Markus Reiter, 53. Er hat Ende 2017 die Nachfolge von Thomas Blimlinger, Wiens erstem grünem Bezirkschef, angetreten. „Ich sage immer, wenn der Trump den 7. Bezirk kennen würde, er würde uns abschaffen.“
Die Kreativwirtschaft habe hier schon vor 100 Jahren eine Rolle gespielt, sagt Blimlinger. In den letzten 20 Jahren sei es gelungen, die Zahl der Unternehmen zu verdoppeln. „Wir haben nicht nur 32.000 Bewohner, sondern auch über 40.000 Beschäftigte im Bezirk.“
Auch Touristen lieben den 7. Bezirk: eine Million Nächtigungen sind es im Jahr – nur im Ersten steigen mehr Gäste ab. Das Problem: Viele wohnen in Airbnb-Wohnungen, Reiter warnt vor Overtourism à la Venedig und appelliert an die Stadt, die Kurzzeitvermietungen in Wohnvierteln ganz zu verbieten.
Am Zollerbach
Zu den sichtbarsten Zeichen der grünen Hegemonie im Bezirk gehören die Maßnahmen, mit denen die Stadt „klimafit“ gemacht werden soll – also all die Bäumchen und Wassersprüher, die im Sommer für Abkühlung sorgen.
Im untersten Teil der Zollergasse, gleich bei der Mariahilfer Straße, ist rund um ein Rinnsal, das der Bezirksvorsteher „Zollerbach“ getauft hat, ein kleines urbanes Biotop entstanden. Die Mariahilfer Straße ist seit 2015 die größte Begegnungszone der Stadt; ein Herzensprojekt der damaligen grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou.
2021 wurden auch große Teile der Neubaugasse zur verkehrsberuhigten Zone, mit durchaus positiven Effekten auf die Kundenfrequenz in den vielen Geschäften. Wer in Wien zum Beispiel eine Brille kaufen möchte, kommt um die Neubaugasse fast nicht herum – nirgends ist die Optikerdichte höher.
Aber auch in der stillen, von niedrigen Biedermeierhäusern gesäumten Bernardgasse war der Bezirk zuletzt aktiv: Die Gasse wurde entsiegelt, begrünt und zur Wohnstraße, und zwar ohne Parkmöglichkeit. Rund 240 Parkplätze sind dadurch verloren gegangen. Trotzdem haben sich in einer Anrainerbefragung 80 Prozent für diese Lösung ausgesprochen.
Einer davon war der Kabarettist und Schriftsteller Leo Lukas, der seit mehr als 20 Jahren in der Bernardgasse wohnt und kein Auto hat. „Es ist jetzt ein anderes Fußgängergefühl“, sagt er. „Das ist eine völlig neue Gasse geworden, sie kommt mir doppelt so breit vor.“
Auch die ÖVP (2020: Platz 3 mit 13,7 %) hat für die Umgestaltung gestimmt, sie hätte allerdings eine weniger radikale Lösung bevorzugt, bei der ein Drittel der Parkplätze erhalten geblieben wäre. „Ich hin nicht gegen Radfahrer, aber alle Verkehrsteilnehmer brauchen Platz. Irgendwann ist es genug“, sagt die schwarze Bezirkschefin Christina Schlosser. „Der Bezirksvorsteher möchte Neubau autofrei machen, da bin ich dagegen.“ FPÖ-Obfrau Teresa Schröder sieht das ähnlich.
Bezirk ohne Autos
Dass Markus Reiter von einem Bezirk ohne Autos träumt, ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Wahr ist, dass ihm die Durchzugsstraßen Burggasse, Neustiftgasse, Lerchenfelder Straße und Kaiserstraße ein Dorn im Auge sind. Aber da müsste die Stadt aktiv werden. „Momentan ist da Stillstand, das kann ich nicht so hinnehmen.“
Es ist übrigens nicht so, dass alle Neubauer Bobos aufs Auto verzichten. Viele leisten sich einen Garagenplatz. Funfact: Der Anteil an SUVs ist im Siebten sogar überdurchschnittlich groß.
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