Georgiens Premier: Wollen "Mitglied der europäischen Familie werden"

Georgiens Premier: Wollen "Mitglied der europäischen Familie werden"
Garibaschwili beschrieb sein Land bei Besuch in Wien als "beispielhafte Demokratie". Opposition in EU-Annäherungsprozess eingebunden. Nehammer: "Integration des Westbalkans wichtig".
 

Selbst wenn Georgien im Gegensatz zur Ukraine und Moldau noch nicht als Beitrittskandidat akzeptiert wurde, lebt die Hoffnung auf eine EU-Mitgliedschaft für Ministerpräsident Irakli Garibaschwili weiter. "Unser Ziel ist es, Mitglied dieser europäischen Familie zu werden", sagte er am Freitag nach einem Treffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Wien. Dieser sagte Unterstützung zu, betonte aber auch, dass für Österreich eine EU-Integration des Westbalkan wichtig sei.

Dass die EU-Staats- und Regierungschefs von Georgien noch weitere Reformen forderten, bis ein Kandidatenstatus möglich sei, interpretiert der ÖVP-Regierungschef auch als eine "Perspektive" für die Regierungsverantwortlichen in Tiflis (Tbilisi). "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht selbstverständlich." Es müsse aber "Anreiz und Motivation" sein, sich der EU auf diesem Weg zu nähern. Probleme dürften nicht verleugnet werden, sondern müssten gelöst werden, meinte Nehammer. "Aus der Lösung entsteht der Fortschritt."

Für den EU-Beitrittsprozess brauche es eben Regeln, doch werde Österreich Georgien beistehen. Etwa wenn es darum gehe, Rechtssicherheit bei Investitionen oder Stabilität und Sicherheit zu schaffen. Geplant sei etwa eine verstärkte Kooperation im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Georgien sei dazu ein wichtiger, geostrategischer Partner in einer sicherheitspolitisch herausfordernden Lage, sagte Nehammer und erwähnte, dass "20 Prozent des Landes von russischen Truppen besetzt" seien. Doch habe Georgien gerade deshalb das Potenzial, in einem sicherheitspolitischen Dialog ein "Mittler" zu sein. Russland hält seit einem Kurzkrieg im Jahr 2008 die georgischen Hoheitsgebiete Abchasien und Südossetien besetzt.

Garibaschwili erklärte, dass Georgien bereit sei, die "zwölf Punkte", die dem Land von der EU zur Erreichung des Kandidatenstatus aufgetragen seien, abzuarbeiten. Und zwar gemeinsam mit der Opposition und der Zivilgesellschaft, um die EU-Annäherung auf eine möglichst breite Basis zu stellen. Sein Land habe bereits einen langen Weg zurückgelegt. "Wir haben das Erbe eines autoritären Landes übernommen", sagte der Regierungschef, der sein Land als "beispielhafte Demokratie" präsentierte. "Es sind die Menschenrechte garantiert. Auch die Medienfreiheit. In Georgien kann man in zehn Tagen einen neuen Fernsehsender aufbauen, ohne dass es große Hürden gibt." Diese Errungenschaften müssten auch gewürdigt werden.

Bosnien-Herzegowina als Nächstes?

Nehammer erinnerte zudem daran, dass Österreich beim EU-Gipfel darauf gedrängt hatte, auch den Status von Bosnien-Herzegowina zu thematisieren. Das sei auch aufgrund der geografischen Lage Österreichs von wechselseitigem Interesse. Schließlich sei Bosnien-Herzegowina ein Land, in dem wieder "Gewalt" drohe.

Bezüglich der Lage in der vom russischen Angriffskrieg heimgesuchten Ukraine zeigte sich Garibaschwili "besorgt". "Wir haben das 2008 erlebt. Aber es gibt keine Alternative zum Frieden. Wir müssen den Krieg beenden." Nehammer sekundierte: Ein Krieg sei immer eine "menschliche Tragödie" und die schlechteste Lösung in der Politik.

Angesichts des Ukraine-Krieges und der beschleunigten Annäherung der Ukraine an die EU hatte auch die georgische Regierung im März einen Beitrittsantrag in Brüssel eingereicht. Während die Ukraine und auch Moldau Ende Juni zu Beitrittskandidaten erhoben wurden, muss sich Georgien gedulden. Die EU-Staats- und Regierungschefs sahen auf ihrem Gipfel davon ab, auch Georgien den Status eines Beitrittskandidaten zuzuerkennen. Erst müsse Georgien noch weitere Reform-Voraussetzungen erfüllen, hieß es. Seit dem Gipfel kommt es zu pro-europäischen Demonstrationen in Georgien, die zugleich auch gegen die Regierung gerichtet sind. Aktivisten werfen ihr vor, zu wenig für die EU-Integration zu tun.

Georgien hat bereits einen Krieg mit Russland hinter sich. Seit der Rosenrevolution 2003 war Präsident Micheil Saakaschwili am Ruder. Er führte westliche Reformen durch und näherte sein Land forsch an die EU und die NATO an. Damit zog er den Unmut Russlands nach sich. Im August 2008 verlor er einen fünftägigen Krieg gegen Russland um die von Georgien abtrünnigen und von Moskau unterstützen Regionen Südossetien und Abchasien. In kürzester Zeit standen russische Truppen vor der Hauptstadt Tiflis (Tbilisi), sie zogen sich aber später aus dem georgischen Kernland zurück. Zehntausende Menschen wurden aus Südossetien vertrieben.

Danach verlor Saakaschwili an Rückhalt bei den Georgiern, nahm zunehmend autoritäre Züge an, wurde abgewählt und ging ins Exil, um einer gerichtlichen Verfolgung in seiner Heimat zu entgehen. Er ging als Präsidentenberater und Gouverneur in die Ukraine. Obwohl er in Abwesenheit in Georgien wegen Amtsmissbrauchs verurteilt worden war, kehrte er im Vorjahr nach Georgien zurück und wurde prompt inhaftiert. Seine Partei Nationale Bewegung führt die Opposition gegen die Regierungspartei Georgischer Traum an, die seit 2012 an der Macht ist. Zu Beginn hatte die Partei auch sehr stark pro-europäische Kräfte im Bündnis um sich versammelt.

Abkommen mit der EU

Die frühere Sowjetrepublik unterhält seit 2014 ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU. Als die stark pro-europäischen Kräfte marginalisiert wurden und sich aus dem Bündnis um Georgischer Traum zurückzogen, erlahmte auch der Pro-EU-Kurs der Regierung. Das Land liegt am Schwarzen Meer im Südkaukasus. Es hat rund drei Millionen Einwohner. Georgien ist ein Schwerpunktpartner der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA).

Ministerpräsident Garibaschwili wurde bei seinem eintägigen Besuch in Wien von seinem Außenminister Ilia Dartschiaschwili begleitet, der mit seinem Amtskollegen Alexander Schallenberg (ÖVP) zusammentraf.

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