Mathematik: Für das Leben lernen wir immer noch nicht

Sekundenschnell online einkaufen und anschließend mit Rechnung oder auf Raten bezahlen: Für viele Jugendliche sind die verlockenden Angebote von Zahlungsdiensten im Internet oft der Beginn einer fatalen Schuldenspirale.
Das Problem: Viele Jugendliche kaufen auch dann noch im Netz ein, wenn ihre Ersparnisse längst aufgebraucht sind.
Beleg dafür liefert etwa der Hashtag „Klarna Schulden“ auf der beliebten Plattform „Tiktok“: Mit Schriftzügen wie „Ich wette, niemand kann meine Klarna Schulden toppen“ posten Jugendliche Screenshots ihrer Verbindlichkeiten bei dem Zahlungsanbieter. Diese sind nicht selten im fünfstelligen Bereich. Laut dem Finanzministerium ist jeder vierte Klient von Schuldenberatungsstellen unter 30 und hat rund 30.000 Euro Konsumschulden. Eine der Ursachen für Überschuldung sei die mangelnde Kompetenz im Umgang mit Geld.
Tatsächlich finden sich im Netz auch zahlreiche Postings zum Finanzwissen – vom Umschulden bis zu Anlagetipps. Aber sollte diese Aufklärung zu Finanzthemen wirklich auf Tiktok oder nicht eigentlich im Unterricht geschehen?
Für das Leben lernen?
Am Dienstag wurde die Mathematik-Matura abgehalten, und dabei fällt einmal mehr auf, dass sich kaum Aufgaben finden, die eine gewisse Lebensrealität widerspiegeln.
Das sieht auch Matthias Reisinger von der Stiftung Wirtschaftsbildung so (siehe Artikel rechts), die sich um einen breiten Ansatz zur Finanzbildung bemüht. Die Neos fordern eine „echte Bildungswende“ und kritisieren, dass die für Herbst angekündigte Lehrplanreform noch immer nicht umgesetzt wurde. „Teil dieser Lehrplanreform muss auch eine gute Verankerung von Wirtschafts- und Finanzbildung sein“, sagt Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre.
„Financial Literacy“ ist der englische Begriff für finanzielle Allgemeinbildung. Finanziell gebildet zu sein, bedeutet zu wissen, wie man Geld richtig spart, investiert, leiht und ausgibt. Die erlernte Verwaltung von finanziellen Vermögen wird beispielsweisese bei Bankgeschäften und Investitionen in Eigenheim oder Pkw einen enormen Vorteil verschaffen. Deshalb soll den Grundlagen zum Wirtschaftsverständnis und Finanzwissen in den österreichischen Lehrplänen mehr Platz eingeräumt werden.
Im Regierungsprogramm wird die Beherrschung von Financial Literacy als eines der Ziele bei der Einführung neuer Lehrpläne definiert. Umgesetzt sind diese Pläne jedoch noch nicht.
Auf KURIER-Anfrage hieß es aus dem Bildungsministerium, dass die entsprechenden Lehrpläne finalisiert und ab dem Schuljahr 2023/24 im Unterricht implementiert werden. Konkret eingeführt werden sollen Finanz-, Wirtschaftsbildung und Entrepreneurship. Im Zentrum der Reform stünde das Fach Geografie und Wirtschaftskunde (das künftig „Wirtschaftsbildung heißen wird). „Der Eintritt in das Erwachsenenalter geht in der Regel mit zunehmend komplexeren und risikoreicheren Finanzentscheidungen einher“, heißt es aus dem Finanzministerium. Wichtig sei eine frühe Finanzbildung.
Genau das hat Doris Pfingstner, Direktorin der Modularen Mittelstufe Aspern, schon gemacht. Ihr Team und sie lehren 10- bis 14-Jährige, wie man mit Geld umgeht oder wie man einen Pkw finanziert. Und es wird im eigenen Junior-Firmenunternehmen alles über Produkte, Verkauf, Wirtschaftsmathematik und Buchhaltung vermittelt. „Weil man gar nicht früh genug damit beginnen kann“, sagt die Direktorin und hofft, dass die Finanzbildung bald einen breiten Niederschlag findet – in den Lehrplänen, Schulbüchern und der Lehrerausbildung.
Dass ein Bedarf an viel mehr Wirtschafts- und Finanzbildung besteht, zeigen nicht nur die 700.000 Österreicher, die überschuldet sind. Davon immer stärker betroffen sind Jugendliche, und als dritthäufigster Grund bringt sie irrationales Konsumverhalten in diese Situation, erzählt Matthias Reisinger, Geschäftsführer der 2020 gegründeten Stiftung Wirtschaftsbildung.
Schon die Gründungspartner (unter anderem Arbeiterkammer, Erste-Stiftung, Industriellenvereinigung, Nationalbank und Wirtschaftskammer) der mit jährlich 1,4 Millionen Euro dotierten Stiftung zeigen, wie drängend das Thema ist. „Ein einzigartiger Schulterschluss“, gibt Reisinger zu.
Ab Herbst starten an 30 Schulen erstmals Pilotversuche zur Finanzbildung. „Es geht darum, den jungen Menschen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, zu verstehen, was im Dienst-, Miet- und Arbeitsvertrag steht, und welcher Leasing- oder Kreditvertrag günstiger ist.“ Pädagogen können sich jetzt schon Lehrmaterialien dazu auf der Webseite (stiftung-wirtschaftsbildung.at) holen.
Mitarbeit: Antonia Fließer
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