EuGH wird Prestigeprojekt zur Familienbeihilfe kippen

EU hängt Damoklesschwert in Sachen Familienbeihilfe tiefer.
Regelung von Türkis-Blau sah weniger Beihilfe für Kinder im EU-Ausland vor.

2017 hatte die türkis-blaue Regierung vom damaligen Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz Christian Strache eine Reform bei der Familienbeihilfe angekündigt, die sofort für viel Wirbel zwischen Wien und Brüssel gesorgt hatte.  Es ging darum, der angeblichen „Zuwanderung ins Sozialsystem“ einen Riegel vorzuschieben. Wie es jetzt aussieht, dürfte aber Brüssel recht behalten. Denn geht es nach dem Willen des EU-Generalanwalts, wird die Republik die Regelung zurücknehmen müssen.

Konkret wurde mit 2019 ein Mechanismus zur Indexierung der Höhe von Familienleistungen, Kinderabsetzbeträgen und anderen Steuervorteilen für Familien für EU-Bürgern eingeführt. Es ging um Eltern, die in Österreich arbeiten, deren Kinder aber im europäischen Ausland leben. Damit wurde die Familienbeihilfe an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten der im EU-Ausland lebenden Kinder angepasst. Vor allem für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern, die in Österreich einer Erwerbsarbeit nachgehen, bedeutete diese Regelung zum Teil herbe Einbußen. 

Kinder in Ungarn oder Rumänien sowie anderen osteuropäischen Staaten erhielten seit Jänner 2019  deshalb nur noch rund die Hälfte der bisherigen Familienbeihilfe. Andererseits: Familien, deren Kinder zum Beispiel in der Schweiz leben, wo es deutlich höhere Lebenshaltungskosten gibt, haben entsprechend mehr Förderungen bekommen. Insgesamt erhoffte die Regierung mit der Maßnahme  114 Millionen  pro Jahr einzusparen.

Rasch war klar, dass die EU-Kommission die Regelung vor den EuGH bringen werde. „Es steht der EU-Kommission frei, den EuGH zu befassen, wenn diese Zweifel an der europarechtlichen Vereinbarkeit der Indexierung hat“, sagte ÖVP-Familienministerin Christine Aschbacher noch 2020. Die Europäische Kommission hatte soeben im Zuge eines Vertragsverletzungsverfahrens  Klage gegen Österreich eingebracht. Für Aschbacher bleibe es aber „ aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in der EU weiterhin eine Frage der Gerechtigkeit“. 

Es ist so gut wie klar, dass die Regelung fallen wird: Laut einem Gutachten   des Europäischen Gerichtshofs verstößt die Indexierung der Familienbeihilfe gegen EU-Recht. Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten müssen in Österreich – unabhängig vom Aufenthaltsort ihrer Kinder – die gleichen Beihilfen und steuerlichen Vergünstigungen wie österreichische Arbeitnehmer erhalten können, so die  veröffentlichte Schlussfolgerungen des EU-Generalanwalts Richard de la Tour. Die betroffenen Familien würden schlussendlich in gleicher Weise zur Finanzierung des österreichischen Sozial- und Steuersystems beitragen wie österreichische Arbeitnehmer, argumentierte de la Tour. Eine Festsetzung der Höhe der Familienleistungen nach dem Wohnsitz stelle also eine Verletzung des Freizügigkeitsrechts dar.

„Die Entscheidung des EuGH-Generalanwalts kommt für mich nicht überraschend. Ich war immer dieser Überzeugung und habe das deshalb auch so erwartet“, schrieb der ÖVP-EU-Mandatar und Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, auf Twitter.

EuGH-Schlussanträge  sind Gutachten, an die sich die EuGH-Richter  nicht halten müssen – sie tun es aber fast immer. Ein Urteil  steht also noch aus.    

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