Welche Folgen das extreme EU-Klimaziel 2040 für Österreich haben wird

EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra
In 15 Jahren soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 90 Prozent sinken. Was heißt das für Österreich?

Es ist kaum vorstellbar, was in der Nacht auf Mittwoch in Brüssel ausverhandelt wurde: Nach jahrelangem Tauziehen einigten sich Vertreter der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des dänischen EU-Ratsvorsitzes auf das EU-Klimaziel für 2040. Und das heißt: Die Treibhausgase müssen um neunzig Prozent (immer im Vergleich zu den Emissionen von 1990) gesenkt werden. Österreich muss dieses Ziel wie alle anderen EU-Staaten zum Gesetz machen.

Die EU will bis 2050 klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als Wälder, Böden und möglicherweise technische Filteranlagen CO2 aus der Luft holen. Längst fixiert ist das Klimaziel 2030, wonach die Emissionen in der EU um 55 Prozent sinken müssen.

Die EU-Umweltminister, darunter Österreichs Norbert Totschnig (ÖVP), hatten Anfang November dem Vorschlag der EU-Kommission zum minus 90-Prozent Ziel zugestimmt, eine Woche später folgte das EU-Parlament, wo das Klimagesetz 2040 in erster Lesung angenommen wurde. 

Aus Österreich stimmten die Fraktionen der ÖVP, der SPÖ, der Neos und der Grünen dafür, die FPÖ stimmte dagegen. Dabei war der tschechische EU-Abgeordnete Ondřej Knotek der Vertreter des EU-Parlaments bei der nächtlichen Einigung. Er vertritt die rechtspopulistische Partei von Premier Andrej Babiš im EU-Parlament und ist Mitglied der FPÖ-Fraktion „Patrioten“. Knotek konnte dort aber nur die Position des EU-Parlaments, nicht seine eigene, vertreten, die grünes Licht für das 2040er-Ziel bedeutete.

Der niederländische EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sagte, die Einigung sei pragmatisch und ambitioniert, liefere Tempo, Vorhersehbarkeit und Flexibilität. „Vor allem zeigt sie, dass Klima, Wettbewerbsfähigkeit und Unabhängigkeit Hand in Hand gehen, und sendet ein starkes Signal an unsere globalen Partner“, so der Klimakommissar.

Um ein Jahr verschoben wird dafür der Plan, dass fossile Brennstoffe wie Benzin und Erdgas erst ab 2028 und damit ein Jahr später als geplant in das Handelssystem mit Emissionszertifikaten (eine CO2-Steuer) einbezogen. Damit sollen große Preissprünge beim Tanken und Heizen vorerst vermieden werden. Beim Emissionshandel müssen Unternehmen Rechte zum Ausstoß von Treibhausgasen kaufen – die Kosten werden an die Kunden weitergegeben.

Minister Totschnig sagte, er werde sich dafür einsetzen, „dass Klimaschutzmaßnahmen vernünftig mit Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplatzsicherheit und Wohlstand verbunden werden“. Auch die SPÖ begrüßte die EU-Einigung. Lena Schilling (Grüne)sprach von einem „hart erkämpften Meilenstein. Mit dem jetzigen Aushöhlen und Abschwächen von Klimagesetzen werden wir dieses Ziel aber nicht erreichen.“

Was heißt das für Österreich?

Landwirtschaft: Kühe, Dünger: Agrarsektor sieht Grenzen der Reduktion 

Der heimische Agrarsektor ist für 12,4 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Zwischen 1990 und  2023 konnte der Sektor den Ausstoß  um 15,6 Prozent reduzieren. Auch für die kommenden Jahre werde im Sektor Landwirtschaft ein weiterer Rückgang der Treibhausgasemissionen erwartet, teilt das Landwirtschaftsministerium dem KURIER mit. Hauptursache sei die prognostizierte Abnahme der Viehbestände.
Dennoch: Das größte Problem der Bauern ist  der Ausstoß von Methan aus den  Mägen von Wiederkäuern und bei der Lagerung von Wirtschaftsdünger, also Gülle, Jauche oder Mist.

Dass die Treibhausgase zuletzt weniger stark zurückgingen als die Zahl der Kühe, liegt an den Hochleistungsrassen, die energiereichere Fütterung benötigen und mehr Methan pro Kuh ausstoßen. Somit bleibt unklar, wie der Sektor Klimaziele erfüllen will. Beklagt werden zudem die Klimaschäden der Agrarflächen, zuletzt im Ausmaß von  260 Millionen Euro.

Energie: Gas geben mit angezogener Bremse

Kein Sektor wird einfacher zu de-fossilieren sein, als die Stromproduktion in Österreich. „Bei Strom haben wir in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht“, sagt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie. „2024 konnten rund 94 Prozent des heimischen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden – eine gute Ausgangslage für den weiteren Weg.“

Laut der Stromstrategie 2040 im  Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) sollte beispielsweise Photovoltaik von derzeit rund neun Terawattstunden (TWh) pro Jahr auf 41 TWh ausgebaut werden, Windkraft von derzeit elf TWh auf knapp 29 TWh.

Aufgrund der voranschreitenden Elektrifizierung, etwa in der Industrie oder im Verkehrssektor, sowie globaler Trends wie Künstliche Intelligenz, wird der Strombedarf 2040 aber höher ausfallen, als ursprünglich angenommen. Einen Ausbau-Boost sollten die derzeit verhandelten Energiegesetze ermöglichen.

Industrie hat längst harte Vorgaben bis 2040 

Die heimische Industrie hat einen Anteil von 34,44 Prozent an Österreichs Treibhausgasen. Die Emissionen sanken seit  1990 um 18,3 Prozent, zeigen also deutliche Klimaschutzbemühungen. 90 Prozent weniger Treibhausgasemissionen seien jedenfalls  „eine steile Ansage der EU“, sagt Dieter Drexel, stellvertretender Bereichsleiter  der Industriellenvereinigung. Große Industriebetriebe werden gesondert im Emissionshandelssystem (ETS I) der EU behandelt.

Durch die schrittweise Verknappung darin gehandelter Emissionszertifikate ergebe sich eine „sinkende Decke“, die die Reduktion von Treibhausgasen vorantreibe. Der „Sinkflug“ dieser Obergrenze laufe derzeit aber so steil ab, dass Probleme absehbar seien. „Wenn das so weiterginge, wären um 2040 herum null Emissionen für die Industrie möglich. Das ist nicht darstellbar“, so Drexel. Noch würden die passenden  Rahmenbedingungen fehlen.

Verkehr ist das größte Klima-Sorgenkind

Kein Rückgang. Der Verkehrssektor verzeichnete 2024 rund 20 Millionen Tonnen , alle Bundesländer mit Ausnahme von Wien haben beim Verkehr seit 1990 eine Zunahme der Treibhausgasemissionen pro Kopf zu verzeichnen.

Laut  Regierungsprogramm sind zahlreiche Maßnahmen vorgesehen, wie hier Klimaschutz greifen soll:  Wesentlich bleibt die Verlagerung, also mehr Öffi- und Bahnangebot und  weniger Auto und Lkw-Fahrten, mehr Rad- und Fußverkehr, mit dem expliziten Verdoppelungsziel beim Radeln. Dazu kommen die zunehmende Elektrifizierung und alternative Antriebe – vor allem Busse und Individualverkehr. So weit die Theorie.

Tatsächlich sind nicht einmal fünf Prozent der Pkw in Österreich batterieelektrisch, aktuelle Neuzulassungszahlen weisen auf einen E-Anteil von 21,3 Prozent. Spannend ist, wie die EU-Kommission kommende Woche das geplante Aus vom Verbrenner-Aus ab 2035 regeln will – angesichts des nun fixen Klimaziels bis 2040.

Noch gibt es viel zu viele fossile Heizungen  

Bei den Pro-Kopf-Emissionen der Privathaushalte kam es seit 1990 zu einem kontinuierlichen Rückgang, im Bereich öffentliche Gebäude, Büros und Hotels  ist erst seit 2005 eine Trendwende hin zu abnehmenden Pro-Kopf-Emissionen bemerkbar.

Wirksam waren Maßnahmen zur thermisch-energetischen Sanierung des Altbaubestandes, der Ausbau von Fernwärme und erneuerbaren Energieträgern sowie bessere Energieeffizienz im Neubau.

Das Problem ist der derzeitige Bestand von 973.000 Gas- und 520.000 Ölheizungen. Das bedeutet, es müssten  bis 2040 jeden Tag 119 Ölheizungen und 141 Gasthermen gegen erneuerbare Heizungen getauscht werden, um diese Emissionen zu vermeiden. 

Die Politik überlegt derzeit, wie die Kosten fair und sozial ausgewogen verteilt werden können. Ordnungspolitische Maßnahmen, wie ein terminisiertes Verbot von Fossilheizungen, sind derzeit nicht angedacht.

Zukauf von Emissionen im EU-Ausland

Die EU-Staaten können das Klimaziel 2040 zu einem kleinen Teil ab 2036 auch durch den Zukauf  von Klimazertifikaten im EU-Ausland erreichen. So soll es möglich sein, Emissionsgutschriften für Projekte der Kohlenstoffspeicherung oder -entnahme aus der Atmosphäre zu kaufen und den inländischen Reduktionen zuzuschlagen. Kritiker  befürchten, dass wirtschaftlich weniger leistungsstarke Staaten im Globalen Süden ihre nationalen Klimaziele bewusst niedriger ansetzen, um sich Aufstockungen von den Europäern bezahlen zu lassen – oder dass Minderungen doppelt angerechnet werden könnten.

Einen Zulauf im Ausland gab es zuletzt in der Kioto-Periode 2012: Weil Österreich das Klimaziel verfehlte, mussten Verschmutzungsrechte in Höhe von 472,5 Millionen Euro nachgekauft werden. Zudem belegte eine Science-Studie, dass nur in 16 Prozent der Fälle echte Emissionsreduktionen nachweisbar waren.

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