Droht türkis-grüner Stillstand bis 2024?

Es gilt als zentrales Anliegen, das die Grünen bis Herbst 2024 noch mit der ÖVP beschließen wollen: das Klimaschutzgesetz (KSG). Dieses soll etwa garantieren, dass verschiedene Sektoren verbindliche Ziele für CO2-Einsparungen einhalten müssen – zum Beispiel der Bereich Verkehr.
Diese „Verbindlichkeit“ könnte Geldstrafen für Bund, Länder und Gemeinden bedeuten. Das lehnt die ÖVP dezidiert ab, deshalb stocken die Verhandlungen seit Frühjahr 2021. „Wir sind bereit, der ÖVP da entgegenzukommen“, sagt Grünen-Klimasprecher Lukas Hammer zum KURIER. Doch die Türkisen senden klare Signale, dass sie das KSG als Punkt des Regierungsabkommens nicht mehr mittragen. Das KSG sei „nicht beschlussfähig“, sagte Wirtschaftskammer-Generalsekretär und ÖVP-Mandatar Karlheinz Kopf im KURIER-Interview. Warum? Die verbindlichen Sektorziele könnten zu „klagbaren Situationen führen und wünschenswerte Projekte verhindern“.
Hammer kontert: „Die Klimapolitik dieser Koalition hat sich zum Glück nicht an der Einzelmeinung und am alten Denken des Herrn Kopf orientiert. Sonst hätten wir in den letzten drei Jahren nicht so viel weitergebracht.“ Hammer verweist auf die CO2-Bepreisung, NoVA-Reform oder das Klimaticket. Die ÖVP zeige „mehr Bewegungsbereitschaft“ als die WKÖ.
"Ich werde keine Ruhe geben"
Klar ist: Ein KSG würde Maßnahmen nur beschleunigen, wenn es verbindlich ist und am besten auch im Verfassungsrang steht. Für dieses „robuste“ KSG gibt es im österreichischen Parlament aber ohnehin keine Mehrheit. Hat das Gesetz für die Grünen also eher symbolischen Wert?
„Für mich ist der Hauptzweck eines Klimaschutzgesetzes, dass es nachfolgenden Regierungen, egal in welcher Zusammensetzung, so schwer wie möglich gemacht wird, eine unambitionierte Klimapolitik zu verfolgen“, sagt Hammer.
Aktuell dürfte es für die Grünen schmerzhafter sein, dass mehrere Energiegesetze in der Warteschleife hängen – etwa das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz (EWG). Es legt fest, dass ab 2040 alle Gebäude klimaneutral geheizt werden müssen. Die ÖVP hätte sogar zugestimmt, aber Energiegesetze benötigen eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Heißt: Hier blockiert die SPÖ. Neben dem KSG geht auch bei türkis-grünen Justiz-Vorhaben nichts weiter. Grüne Insider monieren, dass die ÖVP derzeit kaum eigene Vorhaben verfolge, die sie gegen grüne Vorschläge eintauschen könnte.
Droht ohne vorgezogene Neuwahlen also politischer Stillstand bis 2024? Hammer betont: „Ich werde keine Ruhe geben und bleibe so lange am Verhandlungstisch sitzen, bis wir das Klimaschutzgesetz und die anderen Gesetze beschlossen haben.“
„Pures Gift“
Dass Karlheinz Kopf noch weiter geht und sich dafür ausspricht, die CO2-Steuer in der nächsten Legislaturperiode wieder abzuschaffen, empört Hammer besonders. Ein solcher Zickzack-Kurs sei „pures Gift“ für den Standort: „Wenn wir Industrie in Österreich haben wollen, dann müssen wir schauen, dass es stabile Rahmenbedingungen gibt, damit die Betriebe in Richtung Klimaneutralität durchstarten können. Ich finde es klima- sowie wirtschaftspolitisch fatal, was Herr Kopf hier macht.“
Die EU-Staaten sollen bis 2030 rund die Hälfte ihrer Treibhausgasemissionen einsparen. Gelingt das nicht, drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Um das zu verhindern und Österreichs Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu bewältigen, soll ein Klimaschutzgesetz (KSG) langfristig stabile Rahmenbedingungen garantieren.
„Wenn wir ein Klimaschutzgesetz beschließen, löst sich nicht alles von selbst. Die konkreten Maßnahmen zur CO2-Reduktion sind in anderen Gesetzen enthalten“, erklärt Grünen-Klimasprecher Lukas Hammer.
Aber was genau regelt das KSG? In der Klimaschutzpolitik werden CO2-Emissionen nach Sektoren aufgeteilt – zum Beispiel Landwirtschaft, Verkehr, Industrie, Gebäude oder Abfallwirtschaft. Für diese Sektoren soll das KSG jeweils möglichst verbindliche Klimaziele festlegen. „In vielen Bereichen haben wir die Emissionen reduziert, in der Mobilität aber zum Beispiel gar nicht. Und wir müssen aber in allen Sektoren auf Netto-Null-Emissionen, das muss das stabile Ziel sein“, sagt Hammer. Im ersten und bisher einzigen öffentlich bekannten KSG-Entwurf von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), der im April 2021 publik wurde, sind einige Automatismen festgeschrieben.
Einige Beispiele: Werden verbindliche Sektorziele nicht eingehalten, soll das zu Geldstrafen für Bund, Länder und Gemeinden führen. Für jede Tonne CO2, die zu viel ausgestoßen wird, sollen 100 Euro in einen Zukunftsinvestitionsfonds überwiesen werden. Entsprechen zudem Emissionen im Verkehrsbereich nicht Österreichs Klimazielen, sollte die Mineralölsteuer automatisch steigen. Dazu kommt ein subjektives Klagerecht: Demnach kann jeder Bürger, der von Klimaauswirkungen betroffen ist, Klimaschutz einklagen.
Die Grünen haben von einigen dieser Mechanismen bereits Abstand genommen, der ÖVP genügt das nicht. Karlheinz Kopf, Generalsekretär der WKÖ, empfiehlt nun das deutsche Modell: Dort will sich die Regierung von der Sektorzielen verabschieden und ihr Gesamtziel – Klimaneutralität bis 2045 – ohne konkrete Vorgaben für einzelne Bereiche schaffen. Das Argument: Sektoren, in denen die Klimawende schneller gelingt, könnten eine schlechtere Performance in anderen Bereichen ausgleichen – ohne, dass dort einzelne Verstöße direkt zu Strafen führen.
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