Die "gründlichste Schule" seines Lebens: Hitlers Wien

Als Brigitte Hamann vor 26 Jahren ein Buch über Adolf Hitler schrieb, beschritt die deutsch-österreichische Historikerin neues Terrain. „Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators“ sollte zum Standardwerk werden. „Es war der Versuch, nicht nur eine Biografie des jungen Hitler zu schreiben, sondern auch eine Sozialgeschichte und Kulturgeschichte der Stadt Wien – und wie diese auf den jungen Hitler gewirkt hat“, sagt Historiker Johannes Sachslehner.
Gemeinsam mit Oliver Rathkolb hat Sachslehner Hamanns „Klassiker“ überarbeitet und viel Neues verarbeitet. „Die Herausforderung bestand darin, die Quellen noch einmal zu sichten und erneut zu bewerten.“
Im Falle Hitlers ist die Sache schwierig. Denn der spätere „Führer“ war bestrebt, seine Wiener Jahre zu schönen. „Es gab eine Version von ihm selbst, in ‚Mein Kampf‘, wo er erklärt hat, dass Wien die gründlichste Schule seines Lebens war“, sagt Sachslehner. „Aber was im Detail passiert ist, hat er versucht, zuzudecken.“
Interview mit Johannes Sachslehner und Oliver Rathkolb
„Ziemlich verloren“
Den – damaligen – Quellen und Zeitzeugen ist nur bedingt zu trauen. August Kubizek etwa. Kubizek war ein Jugendfreund Hitlers, und Historikerin Hamann hat dessen Erzählungen gern übernommen. Sachslehner konnte nachweisen, dass Kubizeks Manuskript von zwei ehemaligen Nationalsozialisten überarbeitet wurde. „Da wurden Geschichten (über Hitler; Anm.) erfunden, verklärt, ausgebaut.“
Unbestritten ist, dass Wien die Entwicklung Hitlers maßgeblich beeinflusst hat. „Wien war eine boomende, zwei Millionen Einwohner zählende Stadt mit Zuzug aus allen Teilen der Monarchie – von Galizien, Böhmen, Mähren etc. Hitler kommt aus einer kleinen Provinzstadt und ist ziemlich verloren“, sagt Historiker Rathkolb. Hitler kommt aus einem autoritären Elternhaus und versucht sich in dieser lauten, großen Stadt „irgendwie zurechtzufinden“.
Laut Rathkolb hat Hitler aus dem „vorurteilsbeladenen“ Wiener Diskurs zwei Dinge mitgenommen: „Ein wesentliches Element für ihn, ja auch für seine politische Laufbahn dann in der NSDAP, ist die Wirkungsmacht des Antisemitismus.“ So sei der damalige Bürgermeister Karl Lueger zu einer „prägenden Figur“ geworden.
„Das Zweite ist der rassistische Antisemitismus. Da geht es nicht mehr um katholische Vorurteile, sondern um das rassistische Gedankengut eines von Schönerer, das er mitnimmt und dann als rote Linie in das NSDAP-Parteiprogramm hineinbringt.“
Die holzschnittartige These, wonach Hitler Antisemit wurde, weil er an der Akademie in Wien von jüdischen Lehrern abgelehnt worden sei, ist verkürzt und falsch. „Hitler ist bestimmt mit einer antisemitischen Prägung nach Wien gekommen“, sagt Sachslehner. Das ergebe sich allein aus seiner oberösterreichischen Umgebung: der Vater Deutschnationaler, die Zeitungen in Linz und Umgebung deutschnational, teils anti-tschechisch und antisemitisch.
„Hitler hatte Geld“
Als Mär enttarnt Sachslehner auch Hitlers Selbstdarstellung des hart arbeitenden kleinen Mannes. „Hitler hatte Geld, das hat er von zu Hause mitbekommen. Und er konnte mit diesem Geld das erste Jahr relativ gut auskommen, obwohl er sehr viel für die Oper verbraucht hat. Am liebsten aß er laut Kubizek Schaumrollen. Das Bild des obdachlosen, armen, um sein Leben ringenden jungen Mannes stimmt nicht.“
Hitler hat von Beginn an also gelogen. Warum, das erklärt Historiker Rathkolb: „Das passte nicht zur Mythen-Inszenierung.“ Hitler habe sich als verarmtes und in Wien verkanntes Genie präsentieren wollen. Schon Brigitte Hamann hat begonnen, massiv an diesem Mythos zu kratzen. Sachslehner und Rathkolb haben weitergemacht. Und das auf höchst spannende Art und Weise.
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