Wie Mathe und Englisch: „Demokratie muss in der Schule ein Hauptfach werden“

NATIONALRAT: WIEDERKEHR (NEOS)
Der Chef des Demokratiezentrums Wien, Dirk Lange, fordert, dass politische Bildung endlich ernst genommen wird. Denn: Der Alltag von Österreichs Jugendlichen ist längst hoch politisch.

Was muss man wissen, will man sich in der Demokratie halbwegs auskennen?

Geht es darum, wie ein Parlament funktioniert und wie Verfassungsgesetze entstehen? Oder gar, welche Ministerien und Behörden es gibt – und was sie so tun?

Dirk Lange sieht die Sache etwas anders.

Für ihn ist Demokratie nicht bloß die „hohe Politik“, die sich irgendwie in Institutionen abbildet.

Demokratie beginnt für den Universitätsprofessor im Kleinen. Lange leitet das Demokratiezentrum in Wien und stellt sich deshalb seit jeher die Frage: Wie kann man die Demokratie weiterentwickeln und zukunftsfit machen? Oder, wie es seit Kurzem heißt: Wie kann die liberale Demokratie resilienter und wehrhafter gegen autoritäre Tendenzen werden?

Konflikt als Kern

Erst kürzlich hat Lange einen Essay („Demokratie bilden!“) herausgebracht.

Und einer seiner zentralen Sätze lautet: Demokratie ist mehr als die Geschichte und Funktionsweise von Institutionen. Sie ist eine Art zu leben, ist soziale Praxis.

Wobei hier viele Menschen einem Irrtum aufsitzen: „Die Demokratie ist keine Harmonielehre, das Gegenteil ist der Fall: Konflikt ist der zentrale Gegenstand des Politischen und der Demokratie“, sagt Lange im Gespräch mit dem KURIER.

Insbesondere in den Schulen, die Lange als Demokratieforscher im Fokus hat, ist dieses Prinzip so noch lange nicht angekommen.

„Tagesaktuelle Themen wie die Frage der Migration oder der Krieg im Nahen Osten sind heute im Alltag der Jugendlichen präsent. Deshalb müssen sie ganz selbstverständlich in der Schule Thema sein.“

Dass derlei Inhalte Lehrkräfte bisweilen überfordern, stellt Lange nicht in Abrede. „Das liegt unter anderem daran, dass die Pädagogen keine fundierte sozialwissenschaftliche Ausbildung haben.“ Es ändere aber nichts daran, dass die Themen im Unterricht behandelt werden müssten. „Immerhin gibt es pädagogische Methoden, wie man die entstehenden Konflikte bewältigen kann.“

Gerade was Jugendliche angehe, seien die Zeiten hoch politisiert – und deshalb ausnehmend spannend.

„Vor 20 Jahren musste sich die Gesellschaft noch überlegen, wie man Jugendliche für Politik interessieren könnte. Das hat sich deutlich geändert. Die politische Welt ist enorm präsent bei Österreichs Jugendlichen.“

Als Verstärker wirken hier die sogenannten Sozialen Medien.

„Sie sind politische Räume“, befindet Lange. „Dementsprechend politisch aufgeladen ist der Alltag der Jugendlichen.“

Baustellen

Jüngeren Mitmenschen müsse ein möglichst breiter Begriff der Demokratie vermittelt werden.

„Demokratie ist eine Gesellschafts- und Lebensform. Demokratisch sein heißt, sich in der Gesellschaft beteiligen zu können und die Gesellschaft mitzugestalten.“

Und gerade weil das politische System nicht reibungslos funktioniere, müsse die Gesellschaft die „Baustellen der Demokratie bearbeiten“. Wie? Lange macht einen konkreten Vorschlag: „Wir brauchen ein Unterrichtsfach Demokratiebildung.“

Nun könnte man einwenden, derlei werde ja längst unterrichtet.

Der Demokratieforscher und -pädagoge denkt aber an viel größere Einheiten: „Demokratie muss ein Hauptfach werden. Wie Deutsch, Englisch und Mathematik.“

Ist das nicht reichlich „hoch“ angesetzt?

Nicht für Lange. Politische Bildung sei die Basis einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft. „Das kann man nicht handhaben wie Verkehrserziehung. Es reicht nicht, dass Schüler wissen, wie einzelne Verwaltungsverfahren ablaufen, politische Bildung sei kein „Paukfach“: „Es ist ein Denkfach, in dem man lernt, wie das Zusammenleben funktionieren kann, und wie eine Gesellschaft Probleme löst.“

Derlei sei keine Nebensache. Und weil Lange davon überzeugt ist, ist er auch vergleichsweise unbescheiden, was die Menge der nötigen Unterrichtsstunden angeht: „Demokratiebildung muss ein echtes Hauptfach sein. In allen Jahrgangsstufen und mit mindestens zwei Stunden pro Woche.“

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