Christoph Leitl: „Amerika benutzt uns als Hampelmann“

Nach 18 Jahren geht Christoph Leitl als Chef der Wirtschaftskammer, er bleibt aber Europa-Präsident.

KURIER: Herr Präsident Leitl, der freie Welthandel ist für Sie der Erfolgsfaktor der Wirtschaft, er ist aber in Gefahr

Christoph Leitl: Wir sind tatsächlich in großer Gefahr. Sie war noch nie so groß seit der Einigung Europas. Wir haben Herausforderungen: China ist wirtschaftlich unheimlich stark, mit den Russen haben wir uns überworfen auf Wunsch der Amerikaner, die Afrikaner sind außerhalb unseres Blickfeldes und Amerika benützt uns als Hampelmann. Es ist schändlich, wie wir Europäer derzeit dastehen, die Wirtschaft muss sich einbringen.

 

Zum EU-Budget: Die Regierung will auf keinen Fall mehr zahlen als 1 Prozent vom BIP. Ist das vielleicht zu wenig?

Möglicherweise, aber so wie die Wirtschaftskammer Österreich mit 1. Jänner 20 Prozent aus der Digitalisierung herausholt kann jede Bürokratie abschlanken. Und daher verstehe ich die Regierung – zehn Prozent herausholen aus dem Förderungsdickicht, aus dem Wirrwarr von Bürokratie, müsste aus meiner Sicht möglich sein.

Bürokratie ist das eine, da sind wir im Millionenbereich, aber nicht im Milliardenbereich.

Nein, nein, wir sind bei einem 150-Milliarden-Budget, und der Großteil geht in regionale Förderungen, in Politik und Landwirtschaft. Aber da gibt es Doppelförderungen, Mehrgleisigkeiten, Intransparenzen. Zehn Prozent weniger geht locker.

Aber kriegt dann auch unsere Landwirtschaft weniger?

Wenn es gezielt gemacht wird, wenn Doppelgleisigkeiten beseitigt werden, hat niemand was dagegen.

In Deutschland geht der Konsum nach fünf Jahren erstmals wieder zurück. Wie erhalten wir das Wachstum?

Wir haben so viele Notwendigkeiten im Aus- und Weiterbildungsbereich, in Hinblick auf die Veränderungen durch die Digitalisierung. Vor der Digitalisierung kann man sich fürchten. Man kann sich vor allem fürchten oder etwas tun, um die Menschen und die Betriebe zu begleiten, die Sorgen haben – oft zu recht Sorgen haben. Welche Antworten geben wir? Was machen wir als Sozialpartner, um mit unseren Bildungseinrichtungen mit diesen Veränderungen, die ja weit über die Betriebe hinaus die ganze Gesellschaft betreffen, fertig werden? Wie können wir ihnen das Gefühl geben: wir wissen, wo der Zug hingeht und wir stehen im Führerhaus, um diesen Zug richtig zu steuern.

Die Sozialpartner waren einmal stolz darauf, eine Art Nebenregierung zu sein.

Das war eine andere Zeit. Wir wissen unseren Stellenwert einzuschätzen und wir würden jedem empfehlen, unsere praktische Erfahrung, unser langfristiges Denken und unsere Expertise anzunehmen. Das „speed kills“ hat schon einmal eine Regierung versucht, und ist damit auf die Nase gefallen. Dann haben sie wieder die Experten beigezogen und dann waren die Ergebnisse wieder besser.

Warum ist Ihnen die Selbstverwaltung der Kassen wichtig?

Wir haben derzeit ein sehr kluges System. Die Selbstverwaltung hat Aufsichtsorgane. Und diese Aufsichtsorgane sind die Regierung. Ich glaube, es ist eine vernünftige Aufgabenverteilung. Aber man kann sehr wohl, und da gebe ich der Regierung recht, kritisch hinterfragen. Im AMS zum Beispiel. Das sind tolle Partner, sowohl der Herr Buchinger als auch der Herr Kopf. Aber wenn Sie mich fragen, wie es sein kann, dass wir 400.000 Arbeitslose in Österreich versorgen, aber am Wochenende Gastronomiebetriebe zusperren müssen, weil sie keine Leute für einfache Tätigkeiten finden – dann wissen die auch keine Antwort.

Eine Antwort könnte sein, die Unternehmer zahlen zu wenig.

Wir haben uns deshalb als Wirtschaftskammer auch zu 1500 Euro Mindestlohn bekannt. Arbeit soll sich auszahlen. Aber wer lieber daheim sitzt und Däumchen dreht, dem muss man auch von Seiten der Arbeitsmarktverwaltung vielleicht ein bisschen mehr Motivation und Anreiz geben, dass er tatsächlich angebotene Arbeit auch annimmt.

Muss mehr Flexibilität auch erzwungen werden?

Ich glaube, es sollte sanktioniert werden. Das Arbeitsloseneinkommen sollte nicht das Versorgungseinkommen sein. Da gibt es andere, hochsozialisierte Länder, in Skandinavien zum Beispiel, dort gibt es, wenn jemand arbeitslos wird, volle Hilfe und volle Unterstützung. Aber es wird alles getan, um so rasch wie möglich jegliche Arbeit, die angeboten wird, auch tatsächlich anzunehmen. Das halte ich für gescheit.

Noch eine Frage zur Sozialversicherung. Vor allem aus dem Westen – Vorarlberg, Tirol – hört man, dass dort alle Sozialpartner inklusive der Landesregierungen auf dem Standpunkt stehen: eine Zentralisierung werden wir uns nicht gefallen lassen. Das dürfte zu einem Konflikt zwischen den Sozialpartnern, Landesregierungen und der Bundesregierung führen.

Ich gehe immer davon aus, was ist das Ziel und was sind vernünftige Maßnahmen – auch menschliche. Der Faktor Mensch ist für mich immer wichtig gewesen. Aber da muss man was tun. Und eine Bundesregierung, die sagt, wir müssen manches in diesem Land ändern, um den Stillstand der vergangenen Jahre zu überwinden, um uns auf die Zukunft vorzubereiten, die muss immer die Unterstützung der Wirtschaft haben.

Kommentare