Buwog-Prozess: Gefangene einer "griechischen Tragödie"

Er sitzt einfach nur da. Über Stunden, aufrecht. Ab und zu nippt er an dem Becher mit Wasser, doch die meiste Zeit hört er einfach nur zu und ist schwer zu lesen. Keine Regung, kein Lächeln, kein Stirnrunzeln. Und im Unterschied zu Walter Meischberger, seinem Sitznachbarn und Trauzeugen, macht er sich an diesem sonnigen März-Tag im Justizpalast keine Notizen. Karl-Heinz Grasser ist wieder vor Gericht.
Fünf Jahre nachdem ihn ein Schöffengericht im Wiener Straflandesgericht zu acht Jahren Haft verurteilt hat (worum es geht, siehe unten), bekämpft der frühere Finanzminister vor dem Obersten Gerichtshof OGH wie sieben weitere Angeklagte sein nach wie vor nicht rechtskräftiges Urteil.
Bis spätestens Dienstag wollen die fünf OGH-Richterinnen bzw. Richter entscheiden, was von den Urteilen zu halten ist. Sie können sie bestätigen, ändern, das Verfahren zurück an den Start verweisen – de facto ist alles möglich, über dem OGH gibt es in Österreich keine Instanz. Um dementsprechend viel geht es in den kommenden Tagen für Grasser und alle Betroffenen, mehr noch: Es geht um alles – bei Grasser um acht Jahre Haft.
Strategie der Verteidiger
Am ersten Verhandlungstag sind zunächst die Verteidiger am Wort. Ihre Strategie ist von Beginn an offensichtlich: Sie schießen sich vor allem auf Richterin Marion Hohenecker ein. Befangen sei sie gewesen, heißt es. Ihre Verhandlungsführung und das ganze Verfahren seien unfair, ja menschenrechtswidrig – womit man beim Auftritt von Manfred Ainedter ist: Weil er der älteste im Team ist, so erklärt Grassers Anwalt, darf er sich als Erster zu Wort melden.
Ainedter sagt, er sei nervös. Weil er "Magister Grasser" seit dem Jahr 2002 vor Gericht vertritt; weil das Verfahren so unglaublich lange dauert; und vor allem, weil er inständig darauf hofft, dass das Urteil aufgehoben wird, weil ja "nirgends ein Verdacht auf eine Bestechlichkeit festgestellt werden konnte".
Tragischer Held
Ainedter wähnt seinen Mandanten in einer „griechischen Tragödie“. Und wie bei allen tragischen Helden sei auch bei seinem Mandanten klar, dass dieser jedenfalls verurteilt werden müsse – ganz egal, was er tue und dass er unschuldig sei.
Wie all die anderen Verteidiger nach ihm, spricht Ainedter von „mannigfaltigen Nichtigkeiten“, also Unzulänglichkeiten und Fehlern, die man beim Buwog-Verfahren nun geltend machen müsse. Und im Vergleich zu Norbert Wess, Grassers zweitem Anwalt, ist der bisweilen polternde Ainedter an diesem Tag durchaus zurückhaltend.
Doch bleiben wir gleich bei Wess. "Das Urteil ist unerträglich falsch!", sagt er, nachdem er minutenlang die Lebens- und Familienumstände von Marion Hohenecker thematisierte.
Vereinfacht gesagt argumentieren die Verteidiger folgendermaßen: Hohenecker sei beeinflusst von ihrem Ehemann und ihrem Sohn. Und als Beleg für die These bringt Wess die Tweets von Manfred Hohenecker aufs Tapet, der sich – selbst Richter – kurz vor dem Buwog-Prozess via Twitter kritisch bis abschätzig über Grasser geäußert hat.
Auch die Tatsache, dass Hoheneckers Sohn bei einer Anwaltskanzlei gearbeitet habe, die für das beim Bieterverfahren der Buwog unterlegene Konsortium tätig war, wird ausgeführt. Das ändert aber nichts daran, dass die Frage der Befangenheit schon vor dem Buwog-Prozess erörtert und geklärt wurde – sie ist also nicht neu, die Tweets und die Umstände sind bekannt.
Drastische Bilder
Was an diesem ersten Tag bei Wess auffällt, ist die Deutlichkeit der Sprache, sind die drastischen Bilder: Insbesondere an jener Stelle, an der er die Zustände während des Prozesses – und damit auch die Prozessführung Hoheneckers – kritisiert.
"Wir waren im Schützengraben", sagt der Strafverteidiger über sich und die Angeklagten. Um zu verstehen, was er meint, muss man sich in den Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts versetzen: Dort saßen beim Buwog-Prozess die Richterin und die Laienrichter wie alle Zuhörer sowie die Staatsanwälte erhöht, während Angeklagte und Verteidiger "am tiefsten Punkt des Saales" (Wess) sitzen mussten.
Wieso ist das wichtig? Weil es laut Grassers Anwälten ein Bild vermittelt und verfestigt. Das Bild des Schuldigen. Und dass die Laienrichter diesen Eindruck hatten, macht Wess an der Passivität der Schöffen fest: "In 169 Verhandlungstagen kam keine einzige Frage eines Laienrichters. Keine einzige!"
Auch was die Bewertung von vorgelegten Beweisen angeht, orten die Strafverteidiger Mängel. Einer der eingängigsten: Während das Gericht behaupte, Grasser habe mit der Bietersumme von 960 Millionen Euro der CA Immo über „Sonderwissen“ verfügt, betont Wess, der Ex-Minister wusste nur etwas, was im Ressort und in der CA Immo viele wussten.
Am Freitag geht das Verfahren weiter. Und im Zentrum steht diesmal unter anderem die Frage, ob die ausgesprochenen Strafen angemessen sind.
Kommentare