„Beim Antisemitismus arbeiten extreme Rechte und extreme Linke zusammen“

„Beim Antisemitismus arbeiten extreme Rechte und extreme Linke zusammen“
Nationalratspräsident Sobotka und der Vorsitzende von Yad Vashem, Dani Dayan, im Gespräch anlässlich 30 Jahre Gedenkdienst.

Seit 30 Jahren gibt es in Österreich die Möglichkeit eines sogenannten Gedenkdienstes. Es geht um den – finanziell von der Republik Österreich unterstützten – Einsatz von Freiwilligen bei ausländischen Organisationen und Einrichtungen mit Bezug zum NS-Terror und zum Holocaust. Am 1. September 1992 traten die Ersten ihren Gedenkdienst in Auschwitz-Birkenau, bei der Anne-Frank-Stiftung und in Theresienstadt an. Ursprünglich als Zivilersatzdienst konzipiert, steht der Gedenkdienst seit 2014 auch Frauen und nicht zivildienstpflichtigen Männern offen. Rund 1.300 Österreicher haben in den letzten 30 Jahren einen Gedenkdienst absolviert.

Aus Anlass des Jubiläums lud Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am Donnerstag zu einer Veranstaltung ins Parlament, an der auch Dani Dayan, der Vorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, teilnahm. In diesem Rahmen wurde auch ein „Letter of Intent“ über die Kooperation zwischen Yad Vashem und Parlament unterzeichnet. Der KURIER hatte Gelegenheit, im Anschluss daran mit Dayan und Sobotka zu sprechen.

Dayan betonte die symbolische Bedeutung der Tatsache, dass junge Österreicher bereit seien, ein Jahr ihres Lebens einer Tätigkeit an Orten wie Yad Vashem oder ehemaligen Vernichtungslagern zu widmen. „Das ist etwas, dass mich sehr optimistisch stimmt“, so Dayan – dass die „dritte Generation der Täter und Mitläufer“ sich ihrer historischen Verantwortung stelle. Sobotka sieht die Bedeutung des Gedenkdienstes insbesondere darin, dass es dadurch möglich geworden ist, den Kampf gegen den Antisemitismus „in die Breite zu bringen, in die Zivilbevölkerung“.

Der Antisemitismus sei „wahrscheinlich das einzige Thema, bei dem die extreme Rechte und die extreme Linke zusammenarbeiten“, so Dayan. Es gebe zwar unterschiedliche Motivlagen, aber „es ist dieselbe Geißel“. Der heutige Antisemitismus sei indes nicht vergleichbar mit jenem der 30er-Jahre. Heute wüssten wir, dass nicht nur Bücher und Gebäude, sondern auch Menschen verbrannt werden können – weil es geschehen ist.

Sobotka beurteilt die Entwicklung in Österreich ambivalent: Der Antisemitismus an sich sei etwas zurückgegangen – aber auf der anderen Seite sei „die Scham, sich antisemitisch zu äußern, weggefallen“, Stichwort etwa: Coronademos. Antisemitismus komme „aus der Mitte der Gesellschaft, und an den rechten und linken Rändern wird er sichtbar“, so der NR-Präsident. Darüber hinaus werde er europaweit „ganz stark von einer migrantischen Bewegung getragen“.

Der Islam sei keine antisemitische Religion, führte Dayan aus, aber es lasse sich nicht leugnen, dass viele Migranten aus antisemitisch geprägten Gesellschaften kämen. Und es sei die Aufgabe von Österreich und Deutschland, klarzumachen, dass die Staatsbürgerschaft oder auch die Aufenthaltserlaubnis mit historischer Verantwortung verbunden und antisemitisches Gedankengut intolerabel sei.

Mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeugen ändere sich auch die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, meinte Sobotka. Heute gehe es darum, „jüdisches Leben zu stärken, damit es auch in der Öffentlichkeit stattfindet“.

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