Was bedeutet es, Pfarrer inmitten einer Großstadt zu sein, wo ein Großteil der Bevölkerung mit Kirche und Religion wenig oder nichts am Hut hat?
Es ist tatsächlich etwas anderes als auf dem Land. In Wien musst du als Pfarrer einfach mehr hinausgehen. Das habe ich immer gemacht: Betriebe besuchen, ins Wirtshaus gehen, Hausbesuche machen. Darüber hinaus gibt es durch die neuen Medien mehr Möglichkeiten der Präsenz. Früher gab es nur das Pfarrblatt – heute gibt es mit eigener Website, Facebook, Instagram die Chance, Menschen zu erreichen. Ich habe auch immer geschaut, dass ich zur Bezirksvertretung Kontakt halte – bisher war ich immer in roten Bezirken tätig, jetzt bin ich in einem grünen Bezirk, das tut nichts zur Sache. Ich bin in der Großfeldsiedlung aufgewachsen, das ist auch nicht gerade eine „bürgerliche“ Gegend …
Wie viele erreicht man?
Die Schicht der „praktizierenden Katholiken“ ist dünn. Wobei ich bei dem Begriff skeptisch bin, denn: was praktizieren diese Katholiken, und was praktizieren die anderen nicht? In Wien haben wir vier, fünf Prozent Kirchgänger – unter den Katholiken, wohlgemerkt. Allerdings: es kommen auch junge Leute, Familien mit Kindern.
Apropos Junge: Sie waren vor Ihrer Tätigkeit in dieser Pfarre in der Karlskirche tätig – und haben dort mit Ihrem Einsatz für junge Menschen, die sich rund um die Kirche versammelt haben, für Aufsehen, teils auch für Irritation gesorgt …
Wir haben mit der Gemeinde Wien versucht, die Situation zu verbessern: es wurden mobile Toiletten aufgestellt, zusätzliche Mistkübel, es wurden Streetworker eingesetzt. Wir wollten aber nicht die Stiege der Karlskirche absperren und signalisieren: ihr seid unerwünscht.
Was wollten diese jungen Leute?
Die wollten dort sitzen, es war eine Art Flucht aus dem Lockdown, alles war zu; sie haben sich dort getroffen und beim Supermarkt versorgt … Aber die Jungen brauchen auch eine Möglichkeit, sich zu treffen. Generell sind sie ohnedies die großen Verlierer der Pandemie: die Kinder und Jugendlichen.
Haben sich da auch Gespräche mit diesen Jugendlichen ergeben?
Da weniger. Sehr wohl aber rund um das Popfest am Karlsplatz. Das gab es schon länger: das Fest war draußen auf dem Platz, das Abschlusskonzert dann in der Kirche. 2020 war dann wegen Corona an das Fest auf dem Platz nicht zu denken, und die Organisatoren sind an uns herangetreten, ob sie zwei Konzerte in der Kirche machen können. Eines davon war mit Voodoo Jürgens, der sicher teils für Aufregung gesorgt hat, weil seine Texte nicht unbedingt jugendfrei sind. Aber wir haben eine große Dankbarkeit nicht nur der Organisatoren, sondern auch des Publikums gespürt – und das war schon toll. Die Kirche war immer Förderin der Kunst – und das muss sie auch heute sein.
Gibt es da auch Grenzen? Gibt es Dinge, die in einem sakralen Raum Ihrer Meinung nach nicht stattfinden können?
Ja, die gibt es sicher. Das muss man im konkreten Fall entscheiden.
Sie haben tschechische Wurzeln und kennen auch die kirchliche Situation in Prag sehr gut. Wie ist die im Vergleich mit jener in Wien?
Das ist schon einmal historisch etwas ganz anderes. Böhmen/Mähren und die katholische Kirche, die Habsburger – das ist auch eine Geschichte der Verwundungen; da müsste man bis zu den Hussiten zurückgehen. Dazu kommen noch 40 Jahre Kommunismus, die viel vernichtet haben. Die Kirche wurde dort in einer Weise unterdrückt, die wir uns nicht vorstellen können. Aber auf der anderen Seite gab es einen harten, sehr kleinen Kern von Gläubigen, die an der Kirche festgehalten haben. Sofern die Kirche noch gestanden ist: gerade auf dem Land hat man viele Kirchenruinen gesehen, viele Dörfer – gerade in den sudetendeutschen Gebieten – waren nur mehr Geisterdörfer. Heute lebt die tschechische Kirche in den Städten mehr als auf dem Land. Prag hat unglaublich lebendige Gemeinden. Ich denke mir, vielleicht werden wir als Kirche in Österreich bald von einer wie in Tschechien lernen müssen. Die sind es nämlich gewohnt, mit der Säkularisierung umzugehen, die haben viel Erfahrung mit Gegenwind. Bei uns hingegen war die Kirche eine machtvolle Institution. Der Kardinal hat ja im KURIER-Interview jüngst bedauert, dass die Stimme der Kirche nicht mehr so gehört wird. Aber daran werden wir uns gewöhnen müssen: die Kreise werden kleiner werden.
Ein großes Problem für die Kirche ist der Priesternachwuchs. Braucht es hier veränderte Zulassungsbedingungen – oder eine spirituelle Erneuerung, welche wieder mehr Berufungen entstehen lässt?
Es wird beides Hand in Hand gehen. Viele haben ja große Erwartungen in die Amazonas-Synode gesetzt. Ich habe schon als Seminarist eine Eingabe für den „Dialog für Österreich“ (innerkirchlicher Diskussions- und Reformprozess 1997/98, im Gefolge der Causa Groër; Anm.) gemacht, die zwei Punkte umfasste: die Weihe bewährter verheirateter Männer, sogenannter „viri probati“, so, wie man heute schon Diakon werden kann. Es gibt ja auch in den mit Rom unierten Kirchen verheiratete Priester – ebenso wie konvertierte verheiratete Geistliche anderer Konfessionen in der katholischen Kirche geweiht werden können. Und der zweite Punkt war die Diakonenweihe für Frauen. Es wird ja heute schon viel „Diakonie“, also tätige Hilfe, in der Kirche von Frauen geleistet. Ich glaube auch, die Menschen haben sich schon gewöhnt an hauptamtlich tätige Frauen in der Kirche. Eine evangelische Pfarrerin hat einmal gemeint: Was hätte es für eine Symbolik, wenn eine schwangere Pfarrerin über die Schwangerschaft Mariens predigt! Was soll ich als Mann dazu schon sagen?
Wir feiern auch heuer Weihnachten wieder „in tempore pestilentiae“, in Zeiten der Pandemie – wie lautet Ihre Weihnachtsbotschaft anno 2021?
Es war auch das erste Weihnachten alles andere als romantisch. Auch die Heilige Familie hat es damals nicht leicht gehabt. Und mich beeindruckt ganz besonders, dass Jesus nicht – wie etwa Buddha – ein Prinzensohn ist, sondern ein Kind „ganz normaler“, einfacher Leute. Das ist doch ein schönes Bild dafür, dass Gott auch heute noch mit Kranken, Einsamen, Trauernden solidarisch ist. Dass Gott ein „Gott mit uns“ ist, ein sympathischer, mitfühlender Gott.
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