100 Tage: Türkise Wende mit blauen Störgeräuschen

100 Tage: Türkise Wende mit blauen Störgeräuschen
Ihren Jubiläumstag beging die neue Regierung lautlos. Was sich unter Türkis-Blau änderte – und was die nächsten hundert Tage zu erwarten ist.

Als Feiertag in Türkis und Blau wird der der 27. März 2018 nicht in die Geschichte eingehen: Keine gemeinsamen Termine, keine großen Auftritte, ein Großteil der Regierungsmannschaft ist in der Karwoche überhaupt auf Urlaub. Einzig Außenministerin Karin Kneissl (sie traf ihren Amtskollegen in Mazedonien) und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (Ministertreffen in Estland) brachen mit öffentlichen Terminen die türkis-blaue Funkstille.

Kanzler Sebastian Kurz fährt gerade Ski in Tirol, Verteidigungsminister Mario Kunasek urlaubt in Kroatien, Finanzminister Hartwig Löger gönnt sich nach der Budgetrede ein paar Tage Ruhe in Salzburg, Verkehrsminister Norbert Hofer erholt sich mit Familie am Meer.

Die Stellung in Wien hielt Vizekanzler Heinz-Christian Strache , der zum „100er“ mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein eine Pressekonferenz vorbereitete. Kurzum: Ihr erstes Jubiläum, den 100. Tag des gemeinsamen Regierens mit dem Credo „Zeit für Neues“, beging Türkis-Blau in fast spektakulärer Harmlosigkeit.

Daran ändert auch ein gestern veröffentlichtes dreiminütiges Video auf Facebook wenig, in dem die Regierung die schönsten Momente ihre noch jungen Polit-Ehe Revue passieren lässt.

Der Großteil des Videos zeigt Aufnahmen von Kurz bei Treffen mit Putin & Co., zu Wort kommt außer dem Kanzler lediglich Strache. Nach einem zweiminütigen „Best of“ an Fernsehbildern und Online-Artikeln wird schließlich ein Blick auf die inhaltlichen Aktiva der türkis-blauen Bilanz geworfen.

2100 Polizisten mehrIm Video rühmt sich die Regierung dafür, 2.100 zusätzliche Polizei-Planstellen zu schaffen.

Familienbonus Mehrmals groß verkauft hat man den „Familienbonus“ – im 100-Tage-Video firmiert das Zuckerl von bis zu 1500 Euro pro Kind unter „größte Familien-Entlastung aller Zeiten“.

Standort-Paket Im jüngst vereinbarten Maßnahmenpaket einigte man sich auf ein neues Staatsziel „Wirtschaftswachstum“ im Verfassungsrang, die Schaffung neuer Lehrstellen und einige Erleichterungen für Unternehmen.

Nulldefizit Im „Best of“-Video hört man einmal mehr den Finanzminister, wie er aufgrund des angepeilten Nulldefizits von einem „Wendepunkt in der Budgetpolitik“ und einer anbrechenden „guten Zeit“ spricht. Tatsächlich steuert das Land – auch aufgrund der guten Konjunktur (siehe Artikel rechts) – auf ein Nulldefizit im Jahr 2019 zu.

So weit zu den ersten türkis-blauen Errungenschaften. Das Jubiläumsvideo verschweigt freilich die zahlreichen Störfälle, für die zum Unmut der extrem auf Disziplin und Kontrolle fixierten Kurz-Partie zuvorderst die Freiheitlichen sorgten:

Nazi-AffäreJäh musste sich die Regierung mit der Liederbuch-Affäre rund um FPÖ-Mann Udo Landbauer herumschlagen, die Verbindung zwischen NS-Gedankengut und Burschenschaften wird gerade von einer FPÖ-internen Historikerkommission aufgearbeitet.

RauchverbotDer nächste schmerzhafte Dauerbrenner für Türkis-Blau ist die mittlerweile im Parlament beschlossene Aufhebung des Rauchverbots in der Gastronomie. Bisher hat mehr als eine halbe Million Menschen das Volksbegehren gegen die Koalitionsbedingung der FPÖ unterschrieben.

BVT-AffäreDie Vorgänge im Verfassungsschutz nach Übernahme des Innenministeriums durch die FPÖ werden noch vor dem Sommer Thema eines U-Ausschusses.

Und was kommt jetzt?

Nachdem mit der Salzburg-Wahl am 22. April der Reigen der heurigen Urnengänge abgeschlossen ist, werden Regierungskreisen zufolge die heiklen Themen 12-Stunden-Tag und Kassenfusion angegangen. Ebenfalls sollen die vor Wochen vertagten Baustellen Mindestsicherungs-Kürzung, Arbeistlosengeld-Neu und die Abschaffung der Notstandshilfe in Angriff genommen werden. Mit anderen Worten: Stoff für ein „200er“-Video gibt es genug.

Kanzler Kurz gewinnt, Vizekanzler Strache verliert an Vertrauen

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