Das neue EU-Wahrzeichen

Das neue EU-Wahrzeichen
Europäische Zentralbank: Der Wiener Stararchitekt Wolf D. Prix baut das spektakuläre Geldhaus in Frankfurt am Main.

Der Rohbau der Türme der Europäischen Zentralbank (EZB) – das "Wahrzeichen der EU" – ist fast fertig, Dachgleiche ist im September.

KURIER: Herr Prix, wollen Sie mit der EZB den Turmbau von Babel vollenden?

Wolf D. Prix: (lacht) Ich sage, Ja. Das ist ein Slogan, den ich gerne verfolge. Als 16-Jähriger bin ich vor Brueghels Turmbau-Bild im Kunsthistorischen Museum gestanden und habe den nicht fertigen Turm von Babel gesehen. Man sagte mir, eine Autorität ( Gott, Anm. ) hat verboten, dass Menschen diesen Turm fertig bauen. Nachdem ich eben in antiautoritären Zeiten aufgewachsen bin, habe ich mir gedacht, ich möchte den Turm ohne Dach gerne fertig bauen.

Sind Sie ein Rebell?

Forever young gilt nicht für immer.

Was hat Sie bewogen, die himmelstürmenden Twin Towers der mächtigen EZB zu entwerfen und zu bauen?

Nachdem ich ein Anhänger des vereinten Europas bin, wollte ich mit diesem Projekt eine Verortung der Idee gewährleisten, ein dreidimensionales Symbol für die Europäische Union schaffen. Ich halte es für wichtig, nicht nur über Ideen zu sprechen, sondern sie auch dreidimensional zu bauen. Das ist Architektur. Und die EU braucht Architektur.

Können sich Bürger mit etwas Abstraktem wie der EZB wirklich identifizieren und ein europäisches Bewusstsein entwickeln?

Sie sollten es. Ich weiß nicht, ob das mit einem einzigen Gebäude gelingt. Noch dazu einem Gebäude, das in Diskussion stehen wird.

Wegen der Krise des Euro?

Der Euro steht in Diskussion, daher auch die EZB, obwohl sie eine hilfreiche Institution ist, um die Krise zu bewältigen. Ich weiß nicht, ob das eine Gebäude den Europäern dazu verhilft, ein gemeinsames Bewusstsein zu bekommen, aber ich denke, es ist ein Wegweiser zum vereinten Europa.

Sie sehen die Vereinigten Staaten von Europa als Ziel?

Daran führt kein Weg vorbei. Wenn es das vereinte Europa nicht geben wird, sind wir ein Spielball des kränkelnden Dollars und des mächtigen Yuan. Wenn wir das nicht wollen, ist es absolut notwendig, das vereinte Europa zu denken und danach zu handeln.

Sind die Politiker imstande und willens, das vereinte Europa zu realisieren?

Ich nehme Politiker prinzipiell nicht in Schutz. Je komplexer ein System und eine Gesellschaft sind, umso schwieriger ist es aber, für Politik einen Leitfaden zu entwickeln. In der Politik ist es daher fast unmöglich, die Leute richtig mitzunehmen. Das ist die wirkliche Schwierigkeit heutiger Politik.

Gibt es eine Lösung?

Überall gibt es Kritik an kompromisswilligen Lösungen. Es ist eine gute Idee, erst dann vom Tisch aufzustehen, wenn ein Konsens gefunden wurde, dem alle zustimmen können. Auch wenn manchmal der Kompromiss zu minderer Qualität der politischen Lösung beiträgt. Ich weiß, dass das in unserer schnelllebigen Zeit sehr schwierig zu kommunizieren ist. Ich hoffe aber schon, dass es die Politiker schaffen werden.

Kritik an "autoritätsgläubigen Architekten"

Das neue EU-Wahrzeichen

Für Apokalyptiker, die das Ende der EU und des Euro heraufbeschwören, muss Ihr Gebäude eine Provokation sein. Gewollt?

Die Gegner der EU haben sich bisher noch nicht zu Architektur geäußert. Die sind schwer beschäftigt, sich in Katastrophen-Malerei auszudrücken.

Gab es nie Kritik an Ihrem EZB-Bau?

Eigentlich nur von Kollegen, die anfänglich den Eingriff in die denkmalgeschützte Großmarkthalle, die ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist, nicht verstanden haben. Aber je fertiger das Gebäude wird, umso eher wird man sehen, dass wir auf das Bestehende Rücksicht genommen haben. Der Gebäudekomplex transportiert auch die Werte der Europäischen Zentralbank: Effizienz, Transparenz, was der Bank sehr wichtig ist, Kommunikation und Stabilität.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Bauen einer Notenbank und einer Oper in China, was Sie ja machen? Passen Sie sich an?

Da ist keine Anpassung notwendig. Es gibt für jedes Problem eine eigene Lösung. Ein dreidimensionales Symbol für Europa zu entwerfen und ein Kongresszentrum mit einem Opernhaus zu verbinden ist funktional, technisch und vor allem von der Gestalt her etwas ganz anderes. Das andere ist das Erfrischende in unserem Beruf.

Sie orientieren sich nicht an dem Stil eines Landes?

Ich kenne den Vorwurf, wenn man in China baut: Du baust für ein autoritäres System. Das mag schon richtig sein. Es kommt aber darauf an, wie man baut. Denken Sie an Brunelleschi, der in der Renaissance für das autoritärste System, die katholische Kirche, eine wundervolle Kuppel für den Dom von Florenz entworfen und gebaut hat. Ich werfe den Architekten Autoritätsgläubigkeit vor, wenn sie sich dem Regime ästhetisch anpassen. Nicht so toll finde ich, wenn vor allem deutsche Architekten sich dem Stil der Umgebung anpassen und versuchen, auf diese Art geschäftstüchtig zu sein. Das Problem ist klar: Bauen in autoritären Regimen mit autoritärer Ästhetik. Das müssen wir ablehnen.

Was wollen Sie noch machen? What’s next?

Wir bauen ein Naturhistorisches Museum an einem der schönsten Bauplätze der Welt, am Zusammenfluss von Rhône und Saône in Lyon. Einen Konzertsaal mit Musikschule im dänischen Aalborg, ein Bankgebäude in Baku, eine Siedlung in Moskau, das Parlament in Tirana. Das ist eine vornehme Aufgabe, ein Symbol für Demokratie und Freiheit in Albanien zu entwerfen. Und wir bewerben uns gerade auch für ein jüdisches Museum. Der nächste große Schritt ist eine Stadtplanung in Changsha (Hauptstadt von Chinas Provinz Hunan) .

Nehmen Sie mit Ihren Bauten Zukunft vorweg?

Fortschritt heißt fortschreiten, das heißt in die Zukunft gehen. Wenn man stehen bleibt, ist man schon tot.

EZB-Hochhaus: Rohbau und Modell

Das neue EU-Wahrzeichen

Standort: Im Frankfurter "Ostend" am Main-Ufer. Angedockt ist das Prix-Projekt an eine denkmalgeschützte Großmarkthalle.

Architektur: Zwei Doppeltürme (einer davon ist 185 Meter hoch), die durch ein Atrium verbunden sind. Der Doppelturm wird die Frankfurter Skyline bestimmen. Rund 2300 Mitarbeiter der EZB werden in dem Gebäude arbeiten.

Fertigstellung: 2014.

Kosten: Bei der Planung rund 500 Millionen Euro. Derzeitige Schätzung: 750 Millionen Euro.

Prix: Rock-’n’-Roller der Architektur

1942 in Wien geboren, TU-Architekturstudium. Gründete 1968 mit anderen das Büro Coop Himmelb(l)au, das für extravagante formale Lösungen steht. Heute gehört das Büro zu den globalen Playern der Stararchitektur. 1993–2012 Professor an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Lehrstühle und Gastprofessuren an den renommiertesten Unis der Welt (Harvard, UCLA, Columbia University New York). Zahlreiche Auszeichnungen (Annie Spink Award; Officier de l’ordre des arts et des lettres; Großer Österreichischer Staatspreis).

Kommentare